Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

II.

KÖNIGE UND KAISER

S23   Aus dem Dunkel der dokumentarisch nicht direkt belegbaren Vergangenheit treten wir in den Bereich der hell erleuchteten Geschichte, wenn wir uns den Königen und Kaisern zuwenden. Wohl rettet sich noch manches von dem Weisheitsgut der Urzeit in das Rankenwerk, mit dem man die regierenden Fürsten umgibt. Auffallend ist, daß keine der Heldengestalten, die in andern Ländern von der Sage verherrlicht werden, wie z.B. die gewaltige Persönlichkeit des Ostgotenherrschers Theoderisch, in der elsässischen Sage erscheint. Man hat den Eindruck, daß alles, was über ein gewisses Mittelmaß hinausragt, der elsässischen Wesensart nicht liegt.

  Die früher erwähnten Gründe für das Zustandekommen des <<Urphänomens>> sind wohl noch da und dort vorhanden, doch, was sich so darleben möchte, wird von der Geistlichkeit unter eine gewisse Kontrolle genommen.


CHLODWIG

   Die Christianisierung des Heidnischen findet in Chlodwig einen charakteristischen und symptomatischen Ausdruck. Wie fromm und werktätig im christlichen Sinne wird dieser Herrscher doch dargestellt! Die geistlichen Herrn, die den Sagenschatz verwalten, machen aus ihm einen König, der für die Fürsten ihrer Zeit vorbildlich sein soll. Er ist es, der das erste Straßburger Münster S24 erkennen läßt. Die Vergangenheit, die sich im Krötenwappen spiegelte, muß verschwinden: An die Stelle der drei Kröten treten drei goldene Lilien.


a) CHLODWIGS TAUFE UND DIE STIFTUNG DES MÜNSTERS

(Stöber II,299S238)

   Als in der Schlacht zu Tolbiacum sich das Glück des Tages auf des Feindes Seite zu neigen begann, da tat Chlodwig, eingedenk der vielfältigen und eindringlichen Ermahnungen seiner frommen christlichen Gatting, das Gelübde, zum Christentume überzutreten, wenn Chlotildens und der Christen Gott ihm den Sieg verleihen wolle, und sodann auch ihm zur Ehre und Danksagung eine christliche Kirche zu bauen.

   Nach dem Siege kam Chlodwig nach Straßburg, nahm den königlichen Palast oder Königshof ein und ließ sich durch das Volk huldigen und schwören.

   Hernach erbaute er überall im Lande viele Festen, Burgen und Schlösser, vornehmlich an den Hauptpässen und Eingängen der Täler und an der Stelle der alten, beinahe durchgängig zerstörten oder zerfallenen römischen Kastelle, um sich den Besitz des Landes zu sichern und das Volk in Gehorsam zu erhalten.

   Bereits war eine geraume Zeit verflossen, seitdem Chlodwig die schweren Kriege beendet und Ruhe und Frieden wieder hergestellt hatte, und immer hatte er noch nicht das in der Bedrängnis der Schlacht getane Versprechen erfüllt.

   Da erschien eines Tages die Königin Chlotilde - oder Guthuldt, wie Specklin sie nennt - bei ihrem S25 Herrn und Gemahl und erinnerte ihn an sein Gelübde; und alsobald beschloß Chlodwig, sein Wort zu lösen. Ohne Verzug sandte er nach dem hl.Remigius, welcher dazumal Bischof zu Reims und zu Metz war, und nach Vestalus, und begehrte die christliche Taufe, und mit ihm wohl drei tausend edler Franken. Darüber erfreute sich die fromme Königin höchlich.

   Und als St.Remigius gekommen war samt seinem Gefährten, da führten sie Chlodwig nebst den übrigen Täuflingen zum alten heidnischen Tempel des Kriegsgottes Krotzmanna und unterwiesen und belehrten sie im christlichen Glauben. Vor dem Bischofe stand Chlodwig in weiße Leinwand gekleidet, nach dem Gebrauche jener Zeit, und um ihn her die vornehmsten fränkischen Häuptlinge, welche mit ihm die Taufe empfangen wollten.

   Und als der hl.Remigius die Taufe zu beginnen sich anschickte, da richtete er zuerst das Wort an Chlodwig und sprach zu dem Könige:

 <<Du hoher Sikamber, dieweil du gelobst, Gott und Christum allein anzubeten, so versprichst du diesen und alle übrigen Tempel, worinnen man dem Teufel opfert, zu zerstören und überall zur Ausbreitung des christlichen Glaubens die Hand zu reichen!>>

 - - und, nachdem Chlodwig dies feierlich versprochen hatte, gab ihm St.Remigius die Taufe und nach ihm den übrigen fränkischen Häuptlingen und Kriegern und nahm sie hiermit auf in die Gemeinschaft der Christenheit und in den Schoß der christlichen Kirche, in Gegenwart der hochbeglückten Königin und im Angesichte des ganzen Volkes.

   Hernach ließ Chlodwig alsobald Krutzmanns Tempel zu Straßburg abbrechen und baute, Gott zur Danksagung, die erste christliche Kirche auf derselben Stätte, ansehnlich und groß, doch nur von schlichtem Holz und Stein <<auf gut altfränkisch>>, S26 mit einem großen ungeheuern Dache, und ließ dieselbe einweihen zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit und der Jungfrau Maria. Und das war, fügt Specklin hinzu, der erste christliche Tempel, der in deutschen und fränkischen Landen, von den Franken, zur Ehre eines Heiligen errichtet worden ist.

   So wurde das erste Münster zu Straßburg gestiftet, in hoher Würdigkeit und Freiheit, wie unser alter Königshoven sagt, von dem ersten christlichen Könige der Franken.

   Im Jahr 504 soll der Bau begonnen und nach Verlauf von sechs Jahren, im Jahre 510, vollendet worden sein, im neunzehnten Jahre von Chlodwigs Regierung.

   Darauf änderte Chlodwig auch sein heidnisches Wappen. Die drei schwarzen Kröten wandelte er um in drei goldene Lilien, in himmelblauem Felde, um durch diese zarte Farbe die Lieblichkeit des christlichen Glaubens anzuzeigen, im Gegensatze zu den alten garstigen, nach damaligem Volksglauben giftigen Tieren. Und auch der Stadt Straßburg erteilte er das Recht, eine Lilie führen zu dürfen in ihren Münzen.


b) DIE DREI KROETEN IN CHLODWIGS WAPPENSCHILD

(Stöber II,5S7)

   <<Als Clodoveus das Elsaß einnahme, so bauete er ein schloß im Weilerthal, Frankenburg genannt, und eine capelle, wie man dan daß alt fränkisch wapen noch in stein da findet, auch in Kirchenfenstern von dickem glaß, naemlich drey schwartze Krotten in weißen feld, dan die alten nahmen gern in ihre schilde die allergreulichsten thiere. Aber als S27 er ein christ wurde; aendert er das wapen, nam für die 3 Krotten 3 guldene gilgen in blauer himmeslfarb an, domit sein lieblichkeit dagegen anzuzeigen, schlug solches auch auf die müntz, begabe die statt Straßburg damit, welche sie heutiges Tages auf ihr müntz schlagen.>>


   Durch diese Erzählung wird Chlodwig mehr oder minder bewußt mit der Odilientradition verbunden, über die später ausführlich zu berichten sein wird. Hier nur so viel: Nach der Letztform der Odilienlegende ist die Heilige die Lilie auf Hohenburg. Daß hinter der Lilie Exoterisches steht, das mit dem alten Mysterienwesen zusammenhängt, wird man sofort erraten. Die Lilie ist wie die Rose ein altes Einweihungssymbol, auf das in irgendeiner Weise immer wieder hingewiesen wird. Bei Jakob Böhme bricht diese über Mittel- und Westeuropa verbreitete Tradition urplötzlich wieder durch, wenn er sagt:

<<Eine Lilie blüht über Berg und Tal in allen Enden der Erde; wer da suchet, der findet. Amen.>>

Oder wenn er sagt, daß sein Schreiben zu seiner Zeit wohl dienen wird,

<<wenn blühen wird der Lilie Rose>>

Ins Volk hat das Tiefere, das in diesen Symbolen angedeutet ist, nicht dringen können. Aber eines hat sich durchgesetzt: Die Farben von Rose und Lilie sind die Farben der eigentlich unterelsässischen Fahne.

<<Rot und wiß sinn unsri Fahne>>

so singt G.Stoßkopf.


DAGOBERT:

a) ST.ARBOGAST UND DAGOBERT

(Stöber II,259S186)

   Sankt Arbogast, aus Aquitanien, welcher der sechste Bischof von Straßburg war, kam in große S28 Huld und Vertrautheit mit König Dagobert (II.), der nichts begehrte als Arbogasts Reden und weisen Rat.

   Einmal geschah es, daß des Königs Jäger und Sigbert, des Königs Sohn, jagten in den Büschen und Waldungen an der Ill, da, wo jetzt Ebersheimmünster steht. Sie trafen auf einen großen Eber, dem jagten sie nach mit ihren Hunden.

   Da kam's nun, daß Sigbert, der Knabe, ganz allein ritt und ungewarnt auf den Eber stieß. Das Roß scheute, daß der Knabe herabfiel und im Stegreif hangen blieb, und das Pferd trat ihn, daß er wie tot da lag. So fanden ihn des Königs Diener, huben ihn auf, mit großem Leide und großer Betrübnis, führten ihn heim, und er starb am andern Tage.

   Wie großen Kummer der König und die Königin hatten, davon wäre viel zu sagen.

   Da wurde aber Dagobert geraten, sich an Sankt Arbogast zu wenden.

   Der kam auch alsobald und kniete vor der Leiche und rief die Mutter Gottes an: seit sie das Leben aller Welt geboren hätte, sei sie ja so allgewaltig und könne auch dem Knaben sein Leben wieder geben. Da ward der Knabe wieder lebend und stand auf in seinen Totenkleidern; die zog man ihm aus und legte ihm königliche Kleider an. Da fielen König und Königin und ihr ganzes Gefolge dem heiligen Arbogast zu Füßen und dankten ihm.

   Und da er weder Gold noch Silber annehmen wollte, gab der König, auf seinen Rat hin, die Stadt Rufach, mit Aeckern, Wäldern und Weide, an Unser Frauen Münster zu Straßburg, dazu noch viele andere Güter.

   Darnach lebte Sankt Arbogast noch manches Jahr und führte ein Gott wohlgefälliges Leben.

S29   Da er aber ein hohes Alter erreicht hatte und krank wurde, sprach er zu seinen Pflegebefohlenen: Da unser Herr Jesus Christus gemartert worden, gestorben und begraben worden ist außerhalb Jerusalems, an der Stätte, wo man böse Leute verderbet, so wolle er unserm Heilande nachfolgen und wenn er sterbe, so solle man ihn außerhalb Straßburg begraben, bei dem Galgen, an der Stätte, wo man die Verbrecher hinrichtet. Dies mußten ihm seine Untertanen geloben zu tun.

   Also ward er nach seinem Tode begraben auf Sankt Michels Bühel (Hügel), das war damals der Henkersbühel, auf dem der Galgen stand. Dies geschah nach Gottes Geburt sechshundert und achtundsechzig Jahr. Nachher aber, zu Sankt Arbogasts Ehren, riß man den Galgen ab, und baute an denselben Ort die Kapelle zu Sankt Michael. Hier lag sein Leib viele Jahre lang, bis das Kloster zu Sankt Arbogast bei Straßburg und das Stift zu Surburg erbaut wurden; sodann verteilte man den Leib und die Gebeine des Heiligen in diese zwei Klöster.


b) DAGOBERT UND DAS EINHORN

(Stöber II,310,S258ff)

   Unter den kostbarsten Gegenständen, Kleinodien und Seltenheiten des ehemals ungemein reichen Domschatzes befand sich vor Zeiten ein acht Schuhe langes, hellgelbliches, biegsames, am oberen Ende zugespitztes Horn.

   Dieses Horn wurde zu Straßburg allgemein als ein Wunderhorn angesehen.

   Man wollte in demselben dasjenige eines Einhorns erkennen, welches der fränkische König S30 Dagobert um das Jahr 640, nebst andern Kleinodien und Heiligtümern der Straßburgischen Kirche verehrt hatte; und von dieser Schenkung wollte man ferner den Ursprung des Wappens der ehemaligen bischöflichen Haupt- und Residenzstadt Zabern herleiten, welche bekanntlich ein Einhorn in ihrem Schilde führt.

   Gewiß ist jedenfalls, daß dieses Horn Jahrhunderte hindurch für eine der kostbarsten Seltenheiten Straßburgs galt, und daß es mit äußerster Sorgfalt im Domschatze aufbewahrt wurde.

   Bis gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts war es dort ganz unversehrt geblieben.

   Da geschah aber, im Jahre 1380, daß Herr Rudolf von Schauenburg, einer der Domherren des Hohen-Stiftes, dem Horne eine ganz absonderliche Verehrung gewidmet hatte. Als ein Wunderhorn, als ein wahres Heiligtum verehrte er dasselbe, und als einen schützenden Talisman gegen Pest und Gift.

   Um sich sicher zu stellen gegen beide Uebel, brach Herr Rudolf des Hornes Spitze ab und trug sie stets bei sich als ein sicheres Schutzmittel gegen jegliche Krankheit und gegen alle möglichen bösartigen Einwirkungen, denen er ausgesetzt werden könnte.

   Die übrigen Domherren aber entdeckten den frommen Diebstahl und schlossen zur Strafe Herrn Rudolf aus ihrer Mitte aus.

   Zu gleicher Zeit faßten sie noch den Beschluß, auf Grund dessen jeglicher unter ihnen schwören mußte, in Zukunft nie mehr einen Abkömmling des Stammes des Herrn von Schauenburg an dem Hohen-Stifte Straßburg aufzunehmen.

    In den Anmerkungen Curt Mündels zu den Sagen des Elsasses findet sich folgender Passus: S31

    Das nach der Volkssage von einem Einhorne oder Monoceros herstammende Horn selbst, erklärt Grandidier, welcher dasselbe noch gesehen hat, für dasjenige eines Narvals.

   Zu seiner Zeit maß dasselbe einige Zolle weniger als acht Schuhe, wegen der seit 1380 fehlenden Spitze. Das Horn war etwas dicker als der Arm eines Mannes, und, obgleich es fest war von oben bis unten, konnte man dasselbe dennoch biegen gleich einem Meerrohre. Es war schwerer, als man es dem Ansehen nach glauben sollte, hatte keinen Geruch und war von hellgelber Farbe, wie altes Elfenbein (Grandidier S57).

   Es war dies das berüchtigte Horn, welches in den Straßburgischen Religionshändeln des 16. Jahrhunderts eine große Rolle spielte, welches im Jahre 1584 verschwand, dessen Abhandenkommen der damalige Dechant des Hohen-Stifts dem Bischofe auf eine Weise meldete, gleich als ob das Schicksal seiner Kirche davon abhinge, und welches, erst im Jahre 1638, auf eine so sonderbare Weise, wieder zum Vorschein kam.

   Dieses Horn scheint erst in der Revolutionszeit abhanden gekommen zu sein.

   Ein ähnliches, ebenfalls angebliches Einhorns-Horn besaß auch einst die Stadt Straßburg. Es wurde auf dem ehemaligen Pfennigthurme aufbewahret und war etwas kleiner als dasjenige des Hochstiftes, indem dieses Städtische Horn bloß sechs Schuhe, zehn Zoll maß. Es wog 18 Mark und 3 Unzen. Die Stadt hatte dasselbe im Jahre 1565 von Adam von Clermont, einem Bürger von Antwerpen, erkauft. (Über dieses gleichfalls berühmte Horn sehe man Schilter-Königshoven, S1115).

   Das Fabeltier, dem das Horn entnommen sein soll, geistert durch das ganze Mittelalter. Es wird noch von S32 Dürer wie ein ziegenähnliches Wesen dargestellt und zeigt sich gespenstig und doch als real-existent in Arnold Böcklins bekanntem Bilde: <<Das Schweigen im Walde>>. In den Kreisen, die wie Abraham v.Frankenberg auf eine Vertiefung des Seelenlebens drangen, ist es das Symbol der Keuschheit, der Schoß der Maria. Diese Deutung geht wohl darauf zurück, daß im vielgelesenen Tierbuch des <<Physiologus>> das Einhorn das Symbol für Christus selber ist. Auf solche Vorstellungen muß sich wohl der Glaube an die Wunderkraft des Horns gestützt haben: Man fühlte sich mit Christus sozusagen direkt verbunden.


KARL DER GROSSE

   Karl der Große spielt in der elsässischen Sage ein untergeordnete Rolle. Das Andenken an seinen erbitterten Gegner, Widukind, lebt in der Gegend um Großgeroldseck weiter. (Vgl.S1) Von Feinden verfolgt: so sieht ihn die elsässische Sage. Der Kaiser rettet sich durch einen kühnen Sprung, und die Spur der Pferdehufe, die man zeigt, ist eine der im Elsaß bekannten Roßtrappen. Man denke auch an den Karlsprung. (StöberII,93,125)


DER CHARLEMONT

(Stöber I,159S112)

   Nördlich von Leberau und an der Mündung des Deutsch-Rumbachtales ragt ein spitzer waldbedeckter Berg empor. Von den Umwohnenenden Charlemont, seltener Karlsberg, genannt. Auf der Spitze desselben liegt ein mächtiger Felsen mit prachtvoller weiter Aussicht. Man erzählt im Lebertale, daß die Feen einst eine Brücke über das Tal hätten bauen S33 wollen, deren einer Pfeiler der Charlemont, der andere der <<wälsche Hochfelsen>> auf dem Tännchel hätte sein sollen.

   Auch an Karl den Großen knüpft die Sage an. Er soll dort oben ein festes Schloß gehabt haben. Andere erzählen, daß er einst vor seinen Feinden habe fliehen müssen. Man will noch jetzt in einem der zahllosen Risse und Sprünge des Felsens die Fußspur seines Rosses sehen.


HEINRICH II:

   Heinrich II. war ein Herrscher nach dem Sinn der Geistlichen. Man nennt ihn <<den Heiligen>>. Daß er die Krone niederlegen wollte, ist nirgends berichtet. Doch paßt dieser Zug ganz in das Bild des Herrschers.


DIE STIFTUNG DER CHORKOENIGSPFRUENDE

(Stöber II,240S300)

   Im Jahre 1012 kam der römische König Heinrich II. nach Straßburg und wohnte hier etliche Wochen.

   An keinem Tage versäumte der fromme König den Gottesdienst im Münster. Des morgens bei dem Hochamte, des abends bei der Vesper und in der Nacht sogar, wann Metten (Nachtmesse oder Frühmesse) gesungen wurde, saß Heinrich im Chore bei Bischof Werner, seinem treuen Freunde und Berater.

   Mit jedem Tage fühlte sich der König wohler und heimischer im Münster. Täglich erhob ihn mehr die einfache, anspruchlose Frömmigkeit und die innige ungeheuchelte Andacht der Brüder Mariens. Nirgends hatte er noch sämtliche gottesdienstlichen S34 Handlungen mit höherer Würde und feierlicherer Weihe begehen sehen. So sehr erhob und entzückte den König die in Werners Münster befolgte Ordnung und Regel, daß allmählich der Wunsch in ihm rege wurde, immerfort in dem hehren Heiligtume zu weilen, inmitten der Brüder, und sich mit ihnen himmelan zu schwingen im Gebete, mit Messelesen und Singen.

   Immer tiefer, immer inniger, immer unwiderstehlicher wurzelte in des frommen Königs Gemüte der Wunsch, den Rest seiner Tage in Gemeinschaft mit den Brüdern der Straßburgischen Münsterkirche zu verleben und mit ihnen Gott allein zu dienen mit Gebet, mit Andacht und Lobgesang, denn es waren alle hohen Grafen und Freiherren, die da ein heilig, selig, geistlich Leben führten. Bald stand der Entschluß unerschütterlich fest bei dem Könige, sich aufnehmen zu lassen in Marias Brüderschaft und unter ihrem Schutze, in ihrer Kirche, sein Leben zu beschließen.

   Umsonst war alles Flehen und Abhalten seiner Hofleute und Räte; vergeblich Aller Widerraten, umsonst Aller Bitten, daß Heinrich das Reich nicht verlassen möge, das er nur mit so großer Mühe im Frieden zu erhalten vermochte! Umsonst eröffneten seine Freunde und Höflinge vor seinen Augen die trübe Zukunft, welche dem Reich beschieden sein würde, wenn er auf seinem  Vorhaben bestünde! Eben so vergeblich aber als ihr Flehen blieben alle ihre Vernunftgründe! Unabänderlich fest stand in des frommen Königs Seele der Entschluß, seine Tage zu enden als Priester in Marias Brüderschaft, in Werners Münster.

   Eines Morgens, nachdem das Hochamt in seiner Gegenwart auf das feierlichste begangen worden war, trat Heinrich, tief ergriffen, zu dem Bischofe vor den S35 Altar und bat mit innigbewegter Stimme, ihn aufzunehmen in die Zahl der Brüder!

   Umsonst bemühte sich nun auch der Bischof, den König zu bewegen, diesem für das Reich so unheilvollen Entschluß zu entsagen. Vergeblich vereinten abermals die königlichen Höflinge und Räte ihre Vorstellungen, um Heinrich von seinem Vorsatze abzubringen. Auch jetzt wieder prallten alle Vorstellungen ohnmächtig ab an des Königs unwiderruflichem Entschlusse.

   <<Wohlan denn!>> - sagte alsdann Werner zu dem Könige, als er sah, daß nichts mehr ihn von der Vollführung seines Vorsatzes abzuhalten vermochte - <<wohlan denn, so nehme ich dich auf in der Brüder Zahl! Doch nun, als mein Untergebener, gelobest und schwörst du, hier vor dem Altare, im Angesicht des dreieinigen Gottes, gehorsam zu sein, mir, deinem Bischofe und Oberen, und fernerhin deinen Willen demjenigen deiner Vorgesetzten unterzuordnen und stets willig, ohne Widerrede noch Widerstreben, streng und genau, alles das zu tun und zu vollführen, was die Kirche dir vorschreibt und gebietet und was ich, dein Oberer, und deine übrigen Vorgesetzten, im Namen der Kirche, dir zu tun oder zu unterlassen befehlen werden?>>

   Und freudig gelobte es der König dem Bischofe mit Hand und Mund, im Angesichte Gottes und in Gegenwart der Brüder, der Höflinge und alles Volkes.

   Aufgenommen war er somit in die Reihen der Brüder! Entladen der schweren Last der Krone, die sein edles Haupt so sehr gedrückt hatte!

   <<Nun aber!>> - begann wieder der Bischof mit ernster, feierlicher Stimme - <<nun aber, mein Sohn, im Namen und in Ausübung der Gewalt und der Macht, die mir verliehen ist von Gott dem Allmächtigen und von seiner Kirche, nun aber gebiete ich dir, S36 als dein rechtliches Oberhaupt, die Krone wieder aufzunehmen, welche dir Gott verliehen hatte, und sie fernerhin zu tragen zu deiner Seele Heil und Frommen und zu des heiligen Reiches Ruhm und Wohlfahrt!>>...

   Tief erschüttert im Innersten seiner Seele stand der König bei dem Bischofe vor dem Altare. Ach! allzuschwer, unerträglich schien ihm das Opfer, das ihm auferlegt war! ...Dennoch mußte er sich fügen voll Ergebung, denn nur Gehorsam gebot ihm, durch den Mund seines Bischofes, die Kirche, deren Befehlen sein frommes Herz sich unbedingt zu unterwerfen von jeher gewöhnt war.

   Abermals ergriff also Heinrich, zum Glücke des Reiches und der seiner Leitung und Obhut anbefohlenen Völker, Krone und Szepter.

   Weil er aber selbst nicht bei den Brüdern bleiben durfte, im stillen Heiligtume, um dort mit ihnen Gott zu dienen mit Gebet und Gesang, und, damit er fernerhin im Chore seines teuern Münsters ersetzet und vertreten sei, stiftete er an demselben eine reichbegabte Pfründe für einen Priester, der in Zukunft, in ewigen Zeiten, an des Königs Statt, auf dem Chore für ihn singen und Messe lesen sollte.

   Und auch die Münsterkirche selbst und die Brüder begabte Heinrich hoch mit Freiheiten, Rechten und Privilegien und mit kostbaren Kleinodien und Heiligtümern.

   Und Jahrhunderte hindurch saß in den Chorstühlen des Münsters, der erste in den Reihen der Stiftsherren des Hohen-Chors, der Prälat, welcher des Königs oder Kaisers Pfründe genoß. Und, zum Andenken an die Stiftung, nannte man denselben des Chores König und seine Pfründe des Chorkönigs Pfründe im Münster.

(Versch.Autoren. Schneegans)


HEINRICH V.

DIE WEIBER VON RUFACH

(Stöber I,88S66)

   In die aufregenden Kämpfe des Kaisertums mit der Kirche versetzt uns die Sage: Die Weiber von Rufach.

   Nachdem Kaiser Heinrich IV. sich für den Gegenpapst Clemens erklärt hatte, wollte er alle Bischöfe des Reichs zwingen, denselben anzuerkennen; denjenigen aber, die sich dessen weigerten, nahm er ihre Bistümer weg.

   Dies geschah nun auch dem Bischofe von Straßburg. Auf kaiserlichen Befehl wurde ihm Rufach, die Hauptstadt des obern Mundats, eines der ältesten Besitztümer der Bischöfe von Straßburg weggenommen. Das Schloß wurde mit Truppen besetzt und die Einwohner auf die grausamste Weise gedrückt! -

   Diese Gewalttaten nahmen nur noch zu unter der Regierung Heinrich V., welcher ein starkes Heer rings um die Stadt zusammenzog.

   Zu dieser Zeit, 1106, trieb besonders der kaiserliche Schloßvogt sein böses Spiel mit den Bewohnern von Rufach, die, unmächtig sich zur Wehr zu stellen, alle Unbill über sich ergehen lassen mußten. Allein die Stunde der Rache sollte nicht ausbleiben.

   Am Ostertage hatte der Vogt eine schöne Bürgerstochter, die mit ihrer Mutter eben in die Kirche gehen wollte, überfallen und ins Schloß bringen lassen. Die Verzweiflung der Mutter kannte keine Gefahr. Sie beschwor die Männer, zu den Waffen zu greifen, ihre Tochter von der Schmach zu erretten und endlich das schmähliche Joch der fremden Herrschaft zu brechen. Allein die Männer wagten es nicht, sich der Uebermacht der fremden Herrschaft entgegenzusetzen. Da wandte sich die bange Mutter an die Frauen und S38 beschwor sie bei der Liebe zu ihren eigenen Kindern, die ja ebenfalls der Wut des Tyrannen ausgesetzt seien, ihr in ihrem Jammer beizustehen. Ihre Worte fanden Widerhall in den Herzen der Mütter. Sie bewaffneten sich, drangen ins Schloß, sprengten die Türen und ehe die Wache, die auf einen solchen Angriff nicht gefaßt war, zu den Waffen greifen konnte, wurde sie von den heldenmütigen Weibern zusammengeschlagen. <<Sie waren>>, sagt der Chronist Herzog, <<vor Zorn eitel Mann>>.

   Nun wuchs auch den beschämten Männern der Mut. Die ganze Bevölkerung erhob sich. Die kaiserlichen Truppen fielen überall unter den Streichen der siegreichen Bürger. Der Kaiser selbst entkam mit Mühe und floh nach Kolmar.

   Die Frauen brachten Krone, Zepter und Mantel, die er zurückgelassen hatte, im Triumph zur Kirche und legten sie auf den Altar der heiligen Jungfrau nieder.

   Von dieser Zeit an aber hatten die Rufacher Frauen bei allen öffentlichen Feierlichkeiten und Aufzügen den Vorrang über die Männer. Derselbe besteht noch heutzutage darin, daß sie in der Kirche die Stühle auf der rechten Seite des Altars inne haben.


FRIEDRICH BARBAROSSA

   Es ist ein Zeichen großer Verehrung, wenn der dem Papste und der Kirche nicht immer genehme Friedrich Barbarossa sich in der elsässischen Sage behaupten kann. Man vergaß eben nicht und konnte nicht vergessen, daß der Kaiser im Elsaß so gern verweilte. Hagenau war sein Lieblingsaufenthalt. Doch auch der Odilienberg zog ihn an. Wußte er um die Geheimnisse, die sich auf den Gral S39 beziehen und die irgendwie mit dem Odilienberg in Beziehung stehen müssen? Tatsache ist, daß er das in Verfall geratene Odilienkloster wieder zu neuem Leben erstehen ließ, indem er die tatkräftige und geistig hochstehende Relindis, eine seiner nahen Anverwandten, zur Aebtissin ernannte. Friedrich Barbarossa ist der elsässischen Sage nach nicht im Saleph ertrunken: Er ist in seiner Burg in Hagenau lebendig <<verzückt>> worden.


a) KAISER BARBAROSSA IST IN DER BURG ZU HAGENAU LEBENDIG VERZÜCKT WORDEN

(Stöber II,197S141)

   <<Der gemein Mann ist beredt worden, man müsse alle nacht disem Keyser Friderico zu Trifeld, auch zu Keyserlautern ein Bett (die mündliche Überlieferung sagt, der Kaiser habe eine eiserne Bettstelle) machen, darinnen er ruhe, dann er sey zu Hagenaw in der Burg lebendig verzuckt worden, das ist aber Fabelwerck, dann wie es mit disem frommen Keyser (welcher nit allerdings des Bapsts vnnd der geystlichen Liedlin singen wollen) ein ende genommen, bezeugen die Chronicken vnd Historien, so von jhme geschriben seindt>> 

   Die Sage, daß der Kaiser in einem Berg schlafe, ist auch hier bekannt. Nur ist es nicht der Kyffhäuser, es ist die elsässische Erde, in deren Tiefen der Kaiser ruht. Elsässische Späßchenmacherei, die namentlich im 18. und 19. Jahrhundert üppig ins Kraut schoß und auch an die größten Geschehnisse sozusagen ein verkleinerndes - ele (=lein, chen) anzuhängen pflegt, hat auch hier das Grandiose ins Kleinlich-Humoristische verbogen und verzerrt: S40 Man läßt die Kinder das Ohr an eine Felsblock halten und fragt sie, ob sie hörten, wie des Kaisers Bart wachse. Dann gibt man ihnen einen Stoß, daß sie mit dem Stein in nicht allzu angenehme Berührung kommen.


b) KAISER FRIEDRICH BARBAROSSA IN KAYSERSBERG

(Stöber I,129S95)

   Kaiser Friedrich Barbarossa, der das Schloß von Kaysersberg gebaut haben soll, begann auch den Bau der Stadtkirche; da ihm aber inmitten der Arbeit das Geld ausgegangen war, so wollte er die Krone seiner Gattin versetzen. Dieser fromme Entschluß rührte den Himmel; denn alsogleich erschienen zwei Engel, jeder mit einem vollen Beutel versehen, um die Krone der Kaiserin einzulösen und den Bau der Kirche zu befördern.

   Stöber hat wahrscheinlich gemacht, daß eine in Stein gehauene Gruppe in einer halbkreisförmigen Nische über dem Portal der Kirche in Kayserberg die Veranlassung zu dieser Sage gegeben hat. Eine männliche Figur, die auf dem Haupte eine Krone trägt, berührt mit der rechten Hand die Krone einer weiblichen Figur. Zweifelhaft bleibt - so meint Stöber - ob sie ihr die Krone aufsetzen oder abnehmen wolle. Zwei Gestalten, die nach Stöber je einen Beutel in der Hand tragen, knien zu beiden Seiten.

   Mündel hat diese Anschauung zurückgewiesen. Nach ihm handelt es sich um die Krönung der Maria. Die Inschrift, die über der Gruppe steht, beweist dies. Sie lautet:

i hc.hic.coronat.maria

   Die knieenden Figuren tragen keine Beutel, sondern Rauchfässer. Die Figur links ist Michael, die Figur rechts Gabriel. S41

   Doch wie kam man dazu, diese Marienkrönung mit Barbarossa in Verbindung zu bringen? Das ist eine Frage, die bis jetzt noch nicht aufgeworfen wurde.

  Die Himmelskönigin ist zugleich die Trägerin der göttlichen Weisheit, und als solche wurde sie von den Alchemisten gefeiert und verehrt. Daß Michael und Gabriel bei dem Akte assistieren, ist nicht so gleichgültig, wie es zunächst scheinen möchte. Wußte der Künstler, der diese Gruppe schuf, aus irgendeiner geheimen Tradition heraus, daß Gabriel und Michael in der europäischen Geistesgeschichte eine bedeutende Rolle spielen? Hat er sich von dem Abt Trithenius von Sponheim sagen lassen, daß nach dem die Verstandeskräfte schärfenden Mondengeist Gabriel der Sonnengeist Michael als ein Bote des Christus und einer vertieften Geistigkeit, die Herrschaft antreten wird? Sonne und Mond sind die Symbole, in die sich das Gralsgeheimnis zusammenfaßt: Die silberne Schale mit der himmlischen Oblate war das Bild, zu dem man andächtig aufblickte. Eine Mahnung, die Verstandeskräfte mit der Wärme des Herzens zu wahrem Welterkennen durchdringen zu lassen. Wenn die Sage die Krönung der Maria mit Barbarossa in Verbindung brachte, liegt darin nicht so etwas wie eine Ahnung davon, daß der Kaiser mit einer spirituellen Strömung in Zusammenhang stand, bei der es um höchste, von Michael vermittelte Marienweisheit geht, daß dieser Hohenstaufe in die Geheimnisse der Gralsbewegung eingeweiht war?


HEINRICH VII:

   Heinrich VII., der von Dante mit Jubel begrüßt worden war, starb der Sage nach an einer vergifteten Hostie. Hecker, ein Werkmeister des Straßburger Münsters, der eine im Manuskript erhaltene Beschreibung des Münsters gegeben hat, bemerkt: S42

   <<Eben in dem Umbgang ist auch zu observieren eine Königs Bildniß sampt einem Mönchen, dessen Angesicht abgewendt und dem König oder Keysser in einer Ostien vergibt, ist vielleicht Heinricus VII, angedeutet, der mit Gift soll hingericht worden sein.>>


DER KAISER UND DER MOENCH

(Stöber II,312S261)

   In alten Zeiten, da war einmal ein Kaiser, der war über die Alpen hinüber gezogen in die welschen Lande, um sich vom Papste krönen zu lassen, und um die treulosen Völker Italiens zu züchtigen und dieselben aufs neue dem heiligen Römischen Reiche zu unterwerfen und zum Gehorsame zurück zu bringen.

   In Bologna aber gab ein welscher Mönch dem Kaiser Gift am Altare, im Leibe des Herrn; und in grausen Schmerzen starb der Fürst am Gifte des Pfaffen.

   Und weithin erscholl im Lande die Kunde dieser sündhaften Freveltat. Entsetzen und Abscheu verbreitete sie durch alle deutschen Gaue.

   Auch zu Straßburg erfuhr man bald des Mönches beispiellose Greueltat. Auch hier, wie überall, ward dieselbe verflucht und verdammt als eine namenlose Sünde und manche Träne des Mitleids und des Bedauerns floß im Elsasse, dem Andenken des frommen und tapfern, meuchlings am Altare vergifteten Kaisers.

   Und zu ewiger Erinnerung an jene grauenhafte Freveltat ward des Kaisers Bildnis und dasjenige des Mönchs der ihn vergiftete, am Münsterturme aufgestellt. S43

   Droben am Turme, gegen Westen, sieht man noch heutigen Tages das hohe Standbild des Kaisers, mit dem Reichsapfel in der Hand, trübe hinausstarrend in die Weite und daneben des frevlen Mönches Bild, mit abgewendetem Antlitze, gepeinigt von den martervollen Vorwürfen des Gewissens.

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