Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

II,15 Amerikas Weg in die Zukunft

   Amerika steht vor einem Kreuzweg. Es kann die materialistische Weltorientierung mit all ihren Konsequenzen im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben fortsetzen, dann wird es am Ende des Jahrhunderts durch die auflösenden, zerstörenden Kräfte in der sozialen Gesellschaftsordnung zu sehr ernsten Überlegungen gezwungen werden; es kann auch durch die schweren Erschütterungen, die es in der letzten Zeit durchmachte und die noch nicht vorbei sind, zu einem stärkeren inneren Erwachen geführt werden. Man sieht deutlich, wie die nächsten Jahre einer Entscheidung zutreiben. Die Jahre bis zur Jahrhundertwende werden sehr entscheidungsvolle Jahre sein". Rudolf Steiner sprach nach dem ersten Weltkrieg in den Vorträgen: "Mysterien des Lichtes, des Raumes, der Erde..." (GA194) im Dezember 1919 von der Verantwortlichkeit, welche die Siegerstaaten, nachdem Deutschland ausgeschaltet war, für die Zivilisation der Menschheit übernommen hätten: "...um so größer wird die Verantwortung auf der anderen Seite: dort wird die Verantwortung liegen. Die äußere Herrschaft wird leicht zu erringen sein, die wird errungen durch Kräfte, die nicht das eigene Verdienst sind. Wie die letzte Notwendigkeit vollzieht sich dieser äußere Übergang der äußeren Herrschaft. Aber die Verantwortlichkeit wird etwas tief Bedeutsames für die Seelen sein. Die Frage steht schon im Schicksalsbuche der Menschheit niedergeschrieben: Wird sich bei denjenigen, denen die äußere Herrschaft wie durch eine äußere Notwendigkeit zufällt, eine genügend große Anzahl von Menschen finden, welche die Verantwortung fühlt, daß hineingestellt wird in diese rein äußere, materialistische Herrschaft - denn eine rein äußerliche materialistische Herrschaft wird es sein, täuschen Sie sich nicht darüber -, daß in die rein äußerliche, materialistische Herrschaft, in diese Kulmination der materialistischen Herrschaft hinein versetzt werden die Antriebe des spirituellen Lebens? Und das darf nicht allzu langsam geschehen!"

   Das ist vor beinahe 60 Jahren gesagt worden. Nach dem 2. Weltkrieg wurde noch einmal durch den Sieg des Westens deutlich, daß die Weltverantwortung für die Entwicklung der Zivilisation in der Menschheit nach dem Westen gegangen ist. Rudolf Steiner betonte jedoch in diesen Vorträgen, damit sei nicht die individuelle Verantwortlichkeit gemeint, sondern die Volksverantwortung. Aber ebenso deutlich wird, daß sich bei den Völkern, welche diese Verantwortung jetzt zu tragen haben, eine genügend große Anzahl von Individuen finden müßte, die diese Verantwortung auf sich nehmen, weil sie sehen können, worum es geht. Die Verantwortlichkeit nämlich, die S68

spirituellen Keime und Impulse in die materialistische Kultur des Westens zu pflanzen. Dabei muß das Geistige Amerikas erkannt werden, denn es ist der Mutterboden für diese Keime. Es ist der Weg Nathanaels, der ein rechter Israelit wurde und deshalb den Christus finden konnte, den Menschheitsgeist. Darum geht es auch im Westen.

   In diesem Zusammenhang ist es sehr interessant, daß Rudolf Steiner auf eine verborgene Anthroposophie in Amerika hinweist, die dort in naturhafter Weise lebt. Diese naturhafte Anlage wird jedoch durch den Materialismus verholzt: "Wir in Europa bilden die Anthroposophie aus dem Geiste heraus aus. Da drüben bilden sie etwas aus, was so wie eine Art Holzpuppe der Anthroposophie ist. Es wird alles materialistisch. Aber für den, der kein Fanatiker ist, für den hat das, was amerikanische Kultur ist, etwas Ähnliches mit dem, was anthroposophische Wissenschaft in Europa ist. Nur ist dort alles aus Holz. Es ist noch nicht lebendig. Lebendig machen können wir es in Europa aus dem Geistigen heraus. Die nehmen es dort aus den Instinkten heraus" ("Vom Leben des Menschen und der Erde - Über das Wesen des Christentums" GA349S64/65). Das heißt, es lebt in dem unbewußten, instinkthaften Willen der Menschen, kann sich aber in der materialistischen Welt nicht ans Licht ringen, es bleibt verholzt im Inneren. Doch es kann durch das Wirken des Geistigen lebendig werden. Dann taut das Erstarrte in den Seelen gleichsam auf und wird lebendig, entringt sich der Sphäre des Instinkthaften, des Blutes.

   Es kann doch etwas sehr Tröstliches haben, daß hier im Westen ein verborgener Impuls eines spirituellen Christentums wirkt, denn das ist Anthroposophie. Tragen wir das Licht spiritueller Erkenntnis in die Nacht des Willens hinunter, dann wird er aufgelichtet, und der anthroposophische "Holzmensch" kann befreit werden, lebendig werden: "Es wird einmal die Zeit kommen, wo dieser amerikanische 'Holzmensch', der eigentlich jeder noch ist, anfangen wird zu reden. Dann wird er den Europäern sehr ähnliches zu sagen haben" (Ga349S64/65). Wann wird diese noch verborgene Anthroposophie zu sprechen beginnen? Bereits in der Gegenwart, wenn die Menschen spirituelle Gedanken in sich aufnehmen und verarbeiten. Es kann nicht geschehen durch die heutigen intellektuellen Gedanken - durch sie wird der 'Holzmensch' versteint, wie der Riese in Goethes Märchen, der vor dem Menschheitstempel erstarrte - sondern nur durch Gedanken, welche selber lebendig sind. Diese Verlebendigung des inneren Menschen strebt in Zukunft einem Gipfel zu. Darüber hören wir im selben Vortrag etwas Verblüffendes, wenn man es zum ersten Mal hört, besonders wenn man sich erinnert, daß die eigentliche S69 Offenbarung der amerikanischen Kulturepoche sich im siebenten nachatlantischen Zeitraum erfüllen soll: "Jetzt haben wir den Frühlingspunkt, wie ich Ihnen gesagt habe, in den Fischen. Vorher war er im Widder. Nach einiger Zeit wird er im Wassermann sein. Da wird erst die richtige amerikanische Zivilisation kommen. Bis dahin wird sich immer mehr und mehr Zivilisation nach Amerika hinüberbegeben. Wer das sehen will, kann das heute schon sehen, wie mächtig die Amerikaner werden, und wie Europa allmählich immer mehr und mehr ohnmächtig wird... Nun schlägt sich die ganze Zivilisation nach Amerika hinüber. Es wird langsam gehen; aber wenn die Sonne in ihrem Frühlingspunkt in das Zeichen des Wassermanns eingetreten sein wird, dann wird sie gerade so günstig ihre Strahlen heruntersenden auf die Erde, daß die amerikanische Kultur und Zivilisation dann besonders mächtig sein wird" (GA349S64/65). Das sagt über Europa nur aus, daß die alten Zivilisationskräfte dort ersterben werden, und daß es nur leben kann aus neuen spirituellen Kräften, die dort allerdings schon kräftig wachsen.

   Man kann die Frage haben, wenn schon im sechsten nachatlantischen Zeitraum im Westen der Erde ein Gipfel der amerikanischen Entwicklung erreicht werden kann, wird es ein geistiger sein? "Das ist eben so interessant, daß in Amerika der Materialismus richtig grassiert, aber eigentlich auf dem Wege zum Geiste ist, während, wenn einer in Mitteleuropa Materialist wird, dann stirbt er als Mensch. Der Amerikaner ist ein junger Materialist. Eigentlich sind alle Kinder zunächst materialistisch, wachsen sich dann aus zu dem, was nicht Materialismus ist. So wird sich der amerikanisch krasse Materialismus gerade zu einem Geistigen auswachsen. Das wird sein, wenn die Sonne im Zeichen des Wassermanns aufgeht" (GA349S64/65).

   Und Rudolf Steiner sprach davon, daß man daran die Aufgabe erkennen könne, die man von der geistigen Seite gegenüber Amerika hat. Man muß heute schon die Keime legen für die Spiritualisierung der kommenden Kultur. Man kann das nur richtig tun unter Berücksichtigung der geistigen Eigenkräfte, die im Wesen veranlagt sind. Dadurch schafft man das Geistesschwert, mit dem man den Kampf gegen die materialistische Verfälschung der westlichen Seelenhaltung durch die ahrimanischen Mächte aufnehmen kann. Diese wollen mit der Inkarnation Ahrimans der ganzen Zivilisation im Westen ihre Richtung geben, eine Richtung, die durch einen immer strengeren Materialismus des Menschen Denken, Fühlen und Wollen verhärten soll, so daß sein Ätherleib so verfestigt wird, daß er sich nach dem Tode nicht auflösen kann, und die Verstorbenen dadurch von der geistigen Welt auch nach dem Tode abgeschnitten bleiben und gezwungen werden, einen ahrimanischen Planeten aufzubauen. In S70 diesem wäre keine Möglichkeit vorhanden, ein menschliches, unsterbliches Ich zu entwickeln, sondern nur als ichlose Gruppenseelen Ahriman dienstbar zu sein.

   Man kann verstehen, weshalb die Engel, welche im Dienste Michaels für die Menschen wirken, ihnen einen Impuls einverweben möchten, nämlich sich nicht auf Erden glücklich zu fühlen, solange andere Menschen auf ihr unglücklich sind. Schaut man auf das furchtbare Schicksal der Menschen, die heute dem Materialismus verfallen, dann kann gerade aus diesem schmerzvollen Erleben der stärkste Impuls erwachsen, in seiner eigenen Entwicklung so stark zu werden, daß einem Helfer- und Erlöserkräfte von den höheren wesen zuströmen können, um diese Menschen doch noch dem Ahriman zu entreißen. Das wird ein Kampf um jede Menschenseele sein bis zum Ende der Erdenentwicklung. Dadurch wird jedoch Anthroposophie in einem noch zu etwas ganz anderem. Man wird neben dem kräftigen Studium ihrer Gedanken stärker nach dem Buche: "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten" (GA10) greifen! Weltenheilende, menschenerlösende Kräfte können, wenn auch nur langsam, in der Menschenseele reifen, wenn man neben der notwendigen Erkenntnisarbeit ebenso stark und stärker auf die Entfaltung seiner inneren Kräfte blickt. Nicht um hier moralische Empfindungen auszusprechen, sage ich das, sondern weil sich in Amerika, besonders wenn man versucht, es geistig anzuschauen, die Erkenntnis aufdrängt: hier muß man stärkere Kräfte zum Einsatz bringen, will man den Gegenmächten nicht nur standhalten, sondern sie in ihre berechtigten Grenzen zurückweisen. Die ahrimanisch gewordene Umwelt verlangt mehr vom Menschen; er selbst muß ein anderer in dieser Welt werden. Das wird einem langsam evident, wird zu einer unumstößlichen Überzeugung. Ein Satz aus dem Buch "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten", den jeder kennt, bekommt mehr Gewicht: "Deshalb muß jeder, der Geheimnisse über die menschliche Natur durch eigene Anschauung sucht, die goldene Regel der wahren Geheimwissenschaft befolgen. Und diese goldene Regel ist: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten." Oder es kann einem wichtig werden, was man im 3. Vortrag des Zyklus: "Evolution vom Gesichtspunkt des Wahrhaftigen" (GA132) lesen kann über den Begriff des schöpferischen Verzichtes, der schöpferischen Resignation. Wie man dadurch die Kräfte entwickeln kann, welche geistig besonders wirksam sind. Auf der anderen Seite ergeben sich gerade hier große Möglichkeiten, diese Kräfte zu entwickeln. Dazu gehört, daß man das Wirken Ahrimans in all seinen S71 Verzweigungen genau kennenlernt, wirklich studiert. Würde man es nicht tun, so wäre dies ein großes Versäumnis. Der Kampf, der hier zu führen ist, ist schon vor 2000 Jahren in die Geschichte Amerikas eingeschrieben worden durch die Tat desjenigen, der von der Sonne kam und als ein Sonneneingeweihter, im vollen Einklang mit dem Golgathageschehen, den ahrimanischen Schwarzmagier überwand. Er konnte ihn besiegen durch die neu in der Erdenentwicklung aufleuchtenden Christuskräfte!

  Man kann diesen Geisteskampf heute so führen, daß die eigenen inneren Kräfte dabei stetig stärker werden. Dafür hatte, wie ich darstellte, Melville ein Ahnen. Ismael kann in dem weißen Wal, der für Ahab nur ein Symbol aller üblen, teuflischen Kräfte auf Erden war, das Zeichen von Tod und Auferstehung sehen, einen Weg, den Jonas ging, der vom Walfisch verschlungen wurde, aber nach drei Tagen wieder dem Leben zurückgegeben wurde. Jonas hat den Wal von innen her kennengelernt durch sein Todes- und Auferstehungserlebnis. Das gibt eine ganz andere Einstellung zum Bösen in der Welt, besonders gegenüber Ahriman. Man möchte sagen, eine frei, überlegene Einstellung. Das kommt in einem bedeutsamen Wort Rudolf Steiners zum Ausdruck: "Deuten müssen die Menschen lernen aus geistiger Wissenschaft heraus das Leben, so daß sie erkennen die Strömungen, die der Ahriman-Inkarnation entgegengehen, - daß sie sie beherrschen lernen. Man muß wissen, daß Ahriman unter den Menschen auf Erden leben wird, aber daß die Menschen ihm entgegentreten werden und selber bestimmen werden, was sie von ihm lernen mögen, was sie von ihm aufnehmmen mögen; das werden sie jedoch nicht können, wenn sie nicht von jetzt ab in die Hand nehmen gewisse geistige Strömungen, oder auch ungeistige Strömungen, die sonst Ahriman benutzt, um die Menschen möglichst im Unbewußtein zu lassen über sein Kommen" ("Influence of Luzifer and Ahriman", 3.Vortrag-GA193?). Lauenstein sagt in seinem Buch (siehe 1.Teil), daß der Kampf mit dem Wal eine freiwillige Begegnung mit dem Tode darstellt.

   Und um eine solche in Freiheit vollzogene, bewußte Begegnung mit den Todeskräften Ahrimans handelt es sich im Westen. Man muß den Mut haben, den Drachen, den Wal, den Tod oder Ahriman von innenher kennenzulernen, anders kann man gegen ihn nichts ausrichten. Im geistigen Kampf mit den Todeskräften kann der Mensch sein Ich als eine neue Kraft in sich zur Geburt bringen. in der Vortragsreihe: "Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist" (GA206S196 - nicht wie im Manuskript genannt: "Weltenwerden, Weltenseele und Weltengeist") wird im letzten Vortrag das Ich als ein Kämpfer gegen den Tod bezeichnet. Es wird dort ausgeführt, wie sich im Menschen ein fortwährender Sterbeprozeß vollzieht, der das Leben langsam untergräbt: "Und derjenige, der nun erfaßt hat, wie das Ich ein fortwährender Kämpfer gegen diesen Sterbeprozeß ist, der hat erfaßt, S72 wie das Ich etwas ist, was als solches mit dem Tode gar nichts zu tun hat; der hat anschaulich erfaßt, was man sonst dialektisch oder logisch als die Unsterblichkeit bezeichnet". - Das Ich ist der fortwährende Kämpfer gegen den Tod. Es kommt in uns zur Geburt im Kampfe gegen den Tod, und damit erringt der Mensch seine Unsterblichkeit. Man darf nicht zurückschrecken, den Tod zu sehen oder den Kampf gegen den Tod, gegen Ahriman aufzunehmen. In der letzten Betrachtung zu seinen Leitsätzen schließt Rudolf Steiner mit den Worten: "In einer Geisteswissenschaft wird nun die andere Sphäre geschaffen, in der ein Ahrimanisches gar nicht vorhanden ist. Und gerade durch das erkennende Aufnehmen derjenigen Geistigkeit, zu der die ahrimanischen Mächte keinen (von mir gesperrt) Zutritt haben, wird der Mensch gestärkt, um in der Welt Ahriman gegenüberzutreten ("Anthroposophische Leitsätze" GA26).

   Der Kampf gegen die Ahrimanmächte muß in voller Übereinstimmung mit dem Christusimpuls geschehen, wie er heute, 2000 Jahre nach Golgatha, von ihm inauguriert wird. Wir haben auf das zweite Golgatha-Geschehen zu blicken, d.h. auf das gegenwärtige Wirken des ätherischen Christus. Von ihm können wir die todüberwindenden Auferstehungskräfte für unsere Zeit erlangen. Das ist das Wichtigste, was in unserer Zeit sich vollzieht. "Das größte Mysterium der Zeit, in welcher wir leben, ist die Wiederkunft Christi" (Karlsruhe, Vortrag vom 25.1.1910, GA118). Es ist das alles überragende, alles überstrahlende Ereignis unseres Jahrhunderts, das größte Ereignis seit dem Mysterium von Golgatha. Wir haben in der Erscheinung des Christus in der Ätherwelt das geistige Zentrum zu sehen, durch das alles, was geistiges Wirken auf Erden ist, inspiriert und befeuert wird. Wenn man bedenkt, daß die Anthroposophie selbst eine Gabe des ätherisch erscheinenden Christus ist, der den Bewußtseinstod in der Ätherwelt erlitt, um in der Bewußtseinsseele der Menschen auf Erden aufzuerstehen, dann sieht man die gewaltige Bedeutung dieses Ereignisses klar vor sich (Siehe 1.Teil). Und man versteht, weshalb Rudolf Steiner (im selben Vortrag) mit starker Betonung und größtem Ernst sagt: "Alles anthroposophisches Wirken sollte sich in den nie erlahmenden Willen wandeln, dieses Ereignis nicht unbemerkt vorbeigehen zu lassen" oder "Die Menschen vorzubereiten, daß sie den richtigen Platz in der Epoche, in der wir leben, einnehmen können, und mit klarem Verständnis und Erkennen wahrzunehmen, was wirklich gegenwärtig geschieht, - aber auch an der Menschheit, ohne fruchtbar zu werden, vorbeigehen kann - ist das Ziel der Geisteswissenschaft". S73

   Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die ahrimanischen Gegenmächte alles tun, damit dieses Ereignis an der Menschheit vorbeigeht, und wie sie daran arbeiten, eine andere Wesenheit an die Stelle des Christus zu setzen, um die Menschheit irrezuführen, dann haben wir eine andere Seite der Auseinandersetzung mit Ahriman im Westen. Wird hier einmal der Kampf gegen die zerstörenden Kräfte Ahrimans bewußt aufgegriffen, weil es von diesem Kontinent verlangt wird, dann wird es eine Bedeutung haben für die übrige Welt und für die Ereignisse, die sich jetzt vorbereiten. Rudolf Steiner hat oft darunter gelitten, daß die Mitglieder seine Worte nicht real genug nehmen konnten. Das geht auch aus folgenden Worten hervor: "Die Gegner sind auf dem Posten. Die Gegner entwickeln alle Intensität des Kampfes. Unser Kampf, dasjenige, was wir vermögen, ist schwach, recht schwach, und unsere Auffassung der Anthroposophie ist in vieler Beziehung schläfrig, recht schläfrig... Das ist der große Schmerz, der sich heute ablagert auf den, der die Dinge voll durchschaut" ("Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des 20. Jahrhunderts" GA200).

   Eine andere Art des Nichtverstehens des Christuswesens kommt vom Osten der Welt. Es kann ein Guru von Indien kommen und im Westen von der Bedeutung des Christentums sprechen. Er kann davon sprechen, welche tiefe Wahrheit in dem Wort: "Das Himmelreich ist in euch" oder in dem Wort "Christus in uns" verborgen ist. Er kann sprechen von der Wahrheit des Wortes "Ich bin das Licht der Welt". Er kann tiefer als die heutigen Pfarrer davon sprechen: "Wer nicht die Neugeburt in sich erfährt, kann nicht zum Reiche Gottes aufsteigen" (Joh.3). Er kann sogar einen Unterschied machen zwischen Jesus und Christus und kann doch den Kern des Christusgeschehens auf der Erde nicht sehen. Er wird sagen, daß der Christus - Jesus ein Sohn Gottes war, wie jeder Guru auch, daß in jedem Meister die "Gurukraft" oder die "Gotteskraft" oder auch die "Christuskraft" anwesend ist, etwas nicht nur Menschliches, sondern ein Göttliches, und man kann doch den Kern des Christusereignisses nicht verstehen, auch nicht die Bedeutung des geistig-ätherischen Wiedererscheinens des Christus in unserer Zeit: Warum sollte denn auch Christus "wiedererscheinen", wenn er doch gesagt hat: "Ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt". Daß in Christus ein höheres Wesen erschienen ist als man vorher erreichen konnte, daß mit seinem Kommen eine Wende der Zeiten eintrat, die alte Erde zu versinken begann und eine neue Erde und Menschheit aus Kräften, die bisher noch nicht mit der Erde vereint waren, sich entwickelt, das kann nicht verstanden werden, so daß der Osten an dem wichtigsten Geschehen unserer Zeit, an dem Erscheinen des ätherischen Christus, vorbeiführt. Mit dem oben Angeführten stehen wir schon in den Ereignissen S74 um die Jahrhundertwende, denn auch diese Ereignisse werden überleuchtet und durchstrahlt von dem Wirken des ätherischen Christus und von dem, der das Antlitz des Christus in unserer Zeit ist: "Michael". Christus ist der spirituelle Führer in all diesen Ereignissen.

   Ich versuchte zu zeigen, wie in Amerika eine gewisse Erwartungsstimmung in vielen religiös und geistig suchenden Menschen für das "Second Coming of Christ" vorhanden ist. Diese Erwartungsstimmung kann sich auf die richtigen Ziele oder auch die falschen lenken. Eine richtige spirituelle Erwartungsstimmung ist die größte Hilfe für das, was kommen soll: "Dieser Geist unseres Zeitalters sollte der Geist der Erwartung sein: er sollte der Geist sein, der aus der Erwartung heraus sich ein Verständnis für das große, aus der Not geborene Erlebnis von der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt. Aber ohne daß man in Wahrheit auf alles, was ein Hemmschuh ist, hinschaut, wird man heute nicht diesem Erlebnis entgegengehen können..." ("Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des 20. Jahrhunderts", 6.Vortrag GA200). Das Ereignis der Wiederkunft des Christus, das heute beginnt, wird nach den Worten Rudolf Steiners in den nächsten 3000 Jahren immer mehr Menschen ergreifen, sie zum Schauen des Christus führen, wird stärker und stärker auf Erden wirksam werden. Es wird uns begleiten bis in die Zeit der 6. Kulturepoche, der Epoche, die unter dem Sternzeichen des Wassermannes steht, der Zeit einer amerikanisch spirituellen Kultur neben der Entfaltung des Geistselbst im Osten Europas. Ob es im Westen dazu kommen kann, hängt von den Ereignissen um die Jahrhundertwende ab; hängt davon ab, ob es der Geistesströmung gelingen wird, einen geistigen Durchbruch in der Welt zu erreichen, und ob es gelingt, in Amerika geistige Keime in die materialistische Zivilisation zu senken. Rudolf Steiner hatte die Frage: "Wird sich... eine genügend große Anzahl von Menschen finden, welche die Verantwortung fühlt..., daß in diese Kulmination der materialistischen Herrschaft hinein versetzt werden die Antriebe des spirituellen Lebens?" Schaut man auf die wenigen Menschen, die heute für eine neue Geisteswissenschaft hier eintreten, dann kann man die Frage haben, ob das "eine genügend große Anzahl von Menschen" ist, wenn man an das riesige Gebiet Amerikas denkt und die verschwindend wenigen Menschen, die sich hier für den Geist einsetzen. Diese wenigen Menschen sind hier allerdings außerordentlich aktiv auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft, der Sozialwissenschaft, der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, der Waldorf-Schulbewegung, des künstlerischen Wirkens, der Eurythmie, der Bewegung für religiöse Erneuerung und ganz besonders wichtig die zentral-anthroposophische Arbeit S75 in den Zweigen und Gruppen. Man trägt hier immer die Frage Rudolf Steiners im Herzen: Wird sich hier eine genügend große Anzahl von Menschen finden, die gewillt sind, die Verantwortung für das, was gerade hier werden kann, auf sich zu nehmen, welche die spirituellen Anlagen des Westens sehen, in welchen der Beitrag ruht, den der Westen zum Menschheitsganzen leisten kann? Es ist, wenn man auf das Wirken der Gegenkräfte sieht, eine schwere, aber auch eine bedeutsame Aufgabe.

   Rudolf Steiner war der Überzeugung, daß diese Aufgabe durchgeführt werden kann, wenn das andere, das tiefere Amerika und das wahre Europa sich finden werden: "Aber das richtige Amerikanertum, das ist dasjenige, was einmal mit dem Europäertum, das auf geistige Weise seine Sache finden wird, sich vereinigen wird. Und dann sieht man, wie man sich eigentlich verhalten muß in der Welt, wenn man so etwas auf diese Weise studiert" ("Vom Leben des Menschen und der Erde" (GA349).


nächste Seite:  Bibliographie