Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Anhang 13d 

Hermann Beckh: "Aus der Welt der Mysterien" 

Das Heilige Urwort des Zarathustra 

1. Aufsatz in "Die Drei" 1926 - mit Proben aus dem Avesta (hier als letzter Aufsatz wegen der speziellen philologischen Exkurse - incl. Vorwort)

 

(VorwortDie hier zusammengefassten Aufsätze sind in der anthroposophischen Monats-Zeitschrift "Die Drei" in der Zeit von Januar bis zum Juni 1926 erschienen. Es liegt im Wesen einer solchen Veröffentlichung, daß an einen Zusammenhang der einzelnen Aufsätze nicht von Anfang an gedacht worden ist. Sie sind in jedem einzelnen Falle aus den Bedürfnissen der Zeitschrift im Hinblick auf den geplanten Inhalt des jeweiligen Heftes selbständig entstanden. So wurde der erste Aufsatz 'das heilige Urwort' zunächst als eine Art sprachwissenschaftlich-philologischer Ergänzung zu dem gegeben, was die anderen Aufsätze jenes Heftes - vor allem der an der Spitze abgedruckte Vortrag Dr. Rudolf Steiners - über Zarathustra enthielten. Proben der alten Zarathustra-Ursprache, des Avesta, sollten gegeben werden. Erst im Isis-Aufsatz der ägyptischen Nummer bot sich dann ein Anlaß, auf die eigentlichen Probleme des Ur-Zarathustra zurückzukommen und Zusammenhänge der alten Zarathrustra-Sternenweisheit mit den ägyptischen Mysterien darzustellen. So hat sich dann in der Fortführung der Arbeit allmählich wie von selbst immer mehr etwas wie ein innerer Zusammenhang der einzelnen Aufsätze ergeben. Immer mehr trat auch der Zusammenhang der einzelnen vorchristlichen Mysterien mit dem Mysterium von Golgatha als dem zentralen Ereignis der Erdengeschichte in den Vordergrund, immer mehr ergab sich ein Hinführen jener Mysterien-Inhalte auf das Mysterium von Golgatha.   Den ersten Isis-Aufsatz, der insbesondere eine bisher in der Darstellung ägyptischer Dinge noch wenig ins Auge gefaßte ferne Urzeit und Urblüte des ägyptischen Mysterienwesens zu beleuchten versucht, ergänzt von der sprachlichen Seite her der Aufsatz 'Zum Namen der Isis'. Hier offenbarten sich vor allem auch bedeutungsvolle Zusammenhänge der ägyptischen (und peruanischen) Mysterien und Hieroglyphen mit den im Buche von Dr. Guenther Wachsmuth 'Die ätherischen Bildekräfte in Kosmos, Erde und Mensch' veröffentlichten Ergebnisse anthroposophischer Forschung über die 'Formtendenzen' der ätherischen Bildekräfte. Vom Isis-Namen-Aufsatz war dann ein naheliegender Übergang zum Aufsatz über den Namen Eva. Zusammenhänge der ägyptischen Mysterienweisheit mit der hebräischen Moses-Weisheit - die dann wieder Übergänge zum 'Mysterium von Golgatha' vermittelt - werden hier deutlich.   Mit dem Aufsatze 'Buddhas Hingang' (hier nicht abgedruckt) wird dann zum erstenmal das Gebiet des Indertums betreten. Für eine Gesamtdarstellung des vorchristlichen Mysterienwesens - wie sie in dieser kurzen Aufsatz-Reihe aber weder beabsichtigt noch möglich war - hätte es nahegelegen, Indien und die indischen Urmysterien voranzustellen. Von dem Gesichtspunkte aber, der sich bei dieser Arbeit von selbst immer deutlicher ergeben hat, erscheint es gerade sinnvoll, Zarathustra als den Inaugurator derjenigen großen Mysterien-Strömung, die dann in das Mysterium von Golgatha hineinführt, voranzustellen, und die zu jener Strömung in einem gewissen Gegensatz stehende altindische erst in zweiter Linie zu behandeln. Zu zeigen, wie und bis zu welchem Grade dann doch auch von der indischen Seite (Krischna und Buddha) her bestimmte Zusammenhänge mit dem Mysterium von Golgatha obwalten, bot der Aufsatz 'Buddhas Hingang' gute Gelegenheit.   Die in den fünf ersten Aufsätzen angeschlagenen verschiedenen Motive werden dann in den beiden letzten so verbunden, daß sich neue einheitliche Gesichtspunkte ergeben. Der Aufsatz 'Der Lebensbaum' läßt dabei zunächst mehr in Urvergangenheit zurückschauen. An Indisches, Persisches, Ägyptisches, Assyrisches, Hebräisches anknüpfend berücksichtigt er auf indischem Gebiet neben Buddha auch das Urindische bzw. dessen Nachklänge im Veda. Erst der Novalis gewidmete Schluß-Abschnitt dieses Aufsatzes läßt uns mehr auf die Christus-Zukunft hinschauen, deren Verbindung mit der indischen, persische, ägyptischen Mysterien-Vergangenheit dann das Thema des letzten Aufsatzes "Das Christus-Geheimnis der alten Mysterien" bildet.   Die einzelnen Aufsätze sind im wesentlichen unverändert abgedruckt. Nur ganz weniges ist aus inhaltlichen Gründen verändert, hinzugefügt, weggelassen. Gewisse durch die Überführung von der Zeitschriftenform in die Buchform sich ergebende Änderungen - wie vor allem bei den gegenseitigen Verweisungen der einzelnen Aufsätze - sind selbstverständlich und rein formaler Natur.)


 

   Wenn die uns im Avesta (Zend-Avesta) erhaltenen Zarathustra-Dokumente auch jüngeren Ursprungs sind, wenn sie auf einen späteren Nachfolger des Ur-Zarathustra zurückgehen, der im ersten, wenn nicht zweiten Jahrtausend vor Christus (5./6. Jhdt.) nimmt philologische Forschung an - Ins 5.+6. Jahrhundert vC fällt schon die Zeit der babylonischen Gefangenschaft, und damit die des Eingeweihten Nazarathos. Manches spricht dafür, daß der spätere (zweite) Zarathustra 800-1000 Jahre früher, vielleicht zur Zeit des Moses, gelebt hat). wieder den Zarathustra-Namen trug und die Zarathustra-Impulse erneuerte, so enthalten sie doch vieles, was gerade auf das von der Geistesforschung hingestellte hohe Alter des Ur-Zarathustra hinweist, jenes hohe Alter, von dem schon der griechische Geschichtsschreiber Plutarch spricht, wenn er die Kunde verzeichnet, es sei der <Magier Zoroaster> (dies ist die griechische Form für das altavestische Zarathustra) 5000 Jahre älter als der Trojanische Krieg. Ein Hauch der wirklichen Urzeit des alten Ariertums weht uns aus der Avesta an, zunächst aus den in Sprache und Inhalt altertümlichsten Teilen, den sog. Gathas des Zarathustra, aber auch noch aus dem jüngeren Avesta. Es lebt, gleichviel wie philologische Forschung das Alter und die Herkunft der uns überkommenen Avesta-Texte beurteilt, doch noch etwas vom Geiste des Ur-Zarathustra in dieser menschlich schönsten und kraftvollsten religiösen Urkunde der alten arischen Menschheit (Die Bezeichnung 'arisch' ist hier mit keinerlei Wertung verwendet!). 

   Vor allem liegt über der Sprache selbst der Hauch dieses hohen Alters, dieser Geist des Ur-Zarathustra. Nicht mit dem Altpersischen ist sie identisch. Nur mutmaßen kann philologische Forschung, wo sie gesprochen wurde. Namhafte Forscher suchen ihren Ursprung im Gebiet des Kansaoya-Sees (Hamun-See) im persisch-afghanischen Grenzgebiet. In diesem See ruht nach altiranischer Sage bis ans Ende der Welt der heilige Samen Zarathustras, aus dem die künftigen Weltheilande geboren werden wollen. Auf Geheimnisse, die damals noch im Schoße der Zukunft ruhten, die heute der anthroposophischen Forschung sich neu erschließen, auf Christus-Zusammenhänge und Christus-Geheimnisse wird in solchen Bilder, wie auch sonst im Avest, leise hingedeutet. Wenn heutige Sprachforschung immer fragt: wo wurde das alte vedische Sanskrit, wo das alte Avesta eigentlich gesprochen? so ist das eigentlich eine falsche Problemstellung. Denn so, wie man in jener Forschung sich dieses vorstellt, "gesprochen" - d.h. als Alltagssprache irgendwo benutzt - wurde das alte vedische Sanskrit oder das ihm so nahestehende Avesta überhaupt nicht. Es waren reine Priestersprachen, Sprachen, in denen das Wort noch ganz die Erinnerung bewahrte an den priesterlichen Ursprung alles Sprechens, über den uns Rudolf Steiner so schön und fesselnd in der Zeitschrift "Lucifer-Gnosis", im Aufsatz über Lemuria zählt. Insonderheit dem Avesta gegenüber kann empfunden werden, daß es noch restlos heilige Sprache, daß es noch durch und durch nichts als Mantram ist. Wort selbst heißt auf avestisch manthro, das ist nichts anderes als die iranische Form des indischen mantra. Nur aus dem Wesenhaften des Mantram, aus der Urbedeutung der Laute und der Urwirkung der Rhythmen, des Plastischen der Konsonanten und des im Avesta so ganz besonders herausgearbeiteten Musikalischen der Vokale kann das heilige Urwort Zarathustras verstanden werden.

   Zum Unterschied von dem im Konsonantenhaften des Sanskrit sich ausprägenden gedanklichen Element lebt in dem reichen Vokalismus des Avesta ein starkes Gefühls-Element, und zwar sind es vor allem die Gefühle der tiefsten religiösen Ehrfurcht, die sich darin aussprechen, die bis zu wahren Schaue rn der Ehrfurcht da sich steigern, wo wir durch Wort und Laut auf Schwingen der Andacht in Weltenweiten und Sternenräume getragen werden. Keine andere Sprache vermittelt schon durch ihre bloßen Laute so stark diese Stimmung der Ehrfurcht, wie das alte Avesta. Eine bloße Übersetzung nach dem Wörterbuch würde davon keinen Begriff geben. Man wird bei richtigem Einleben in das geistige Wesen der Sprache überhaupt von dem Vorurteil loskommen müssen, daß eine wirkliche 'Übersetzung' aus einer Sprache in die andere, vollends aus einer alten mantrischen Sprache in eine moderne, überhaupt möglich wäre. Und an die Stelle des wörterbuchmäßigen Übersetzens wird immer mehr das künstlerische Neuschaffen aus dem Geiste der andern Sprache (in die 'übersetzt' werden soll) treten müssen. Bei einer so schwierigen und eigenartigen, zeitlich so fernliegenden Sprache wie dem alten Avesta wird jeder Übersetzungsversuch stets etwas Unvollkommenes bleiben. Daher erschien es, wenn überhaupt Proben aus dem Avesta gegeben werden sollten, notwendig, auch den Urtext hinzuzufügen. Die Worte und Laute der Avesta-Sprache selbst müssen uns etwas vom Geiste Zarathustras vermitteln. Stark und sympathisch empfinden wir in dieser Sprache das ganze natürliche Wohlbehagen des Sprechens, das Erquickliche des Gesprächs, von dem im Goethe-Märchen die grüne Schlange dem Alten mit der Lampe spricht. Im Gegensatz zu dem gerne in abstrakte Höhen sich erhebenden, vom natürlichen Sprechen weit abseits liegenden vedischen Sanksrit finden wir im Avesta stets, auch da, wo Andacht in Weltenweiten und Sternenräume sich erhebt, ein festes und sicheres Stehen auf der Erde, eine solide Verbindung mit dem Irdische, die dann auch wirkliches Hinausschauen in kosmische Weiten, nicht nur ein bloßes Hineinträumen in mystische Tiefen, möglich macht.

   In seinem im Berliner Architektenhaus am 19.1.1911 gehaltenen öffentlichen Vortrag 'Zarathustra' hat Rudolf Steiner bedeutungsvoll hingewiesen auf die Keuschheit des Zarathustrismus, die darin liegt, daß er die Urzweiheit, die Urpolarität der Welt nicht im Bilde des sexuellen Gegensatzes, sondern in dem reinen Bilde von Licht und Finsternis anschaut. Dem guten, lichten Geiste, Ahura-Mazdao (persisch Ormuzd), steht entgegen Angromainyusch (persisch Ahriman). Ganz am Schlusse des Vortrags wird die berühmte Gatha-Stelle (Yasna 45) angeführt, wo Zarathustra diese Lehre von den beiden Geistern verkündet: "Ich will reden! Nun kommt und hört mir zu..." Ihr folgen unmittelbar Worte, in denen der lichte Geist, Ahuramazdao, sich selbst mit dem finstern Widersacher, Angromainyusch oder Ahriman, auseinandersetzt.


    (Anmerkung: Zur Aussprache sei folgendes bemerkt. Bei der Umschrift der Laute - das Original ist in mittelpersischen Pehlevi-Buchstaben geschrieben - ist nicht Anlehnung an die philologischeTradition, die anders transskribiert, sondern möglichste Gemeinverständlichkeit angestrebt. Gewisse feinere Unterscheidungen bei einzelnen Lauten, z.B. den Zisch- und Hauchlauten, sind darum preisgegeben. Um den gegenüber unserer Sprache viel reicheren Lautschatz wenigstens annähernd wiederzugeben - das Avesta-Alphabet hat 48 Buchstaben -, waren einzelne besondere Zeichen immerhin nicht zu vermeiden. So bedeutet ao ein breites, offenes, nach o hin liegendes a, ähnlich wie skandinavisch a, a' ein nasales a (wie französisch an). ö ist wie französisch e in le zu sprechen, kh wie schweizerisch ch, gh ist der entsprechende weiche Laut, th entspricht dem harten, dh dem weichen englischen th, y ist unser j, sh - im Avesta in 3 verschiedene Laute differenziert - unser sch, z ist nicht unser z (ts), sondern tönendes, weiches s (wie im Französischen und Englischen), zh der entsprechende weiche sch-Laut (franz. j), v ist wie w (richtiger: wie franz. und englisches v) zu sprechen, wi ist das eigentliche deutsche w (das Vorhandensein dieses Urlautes ist für das Avesta besonders charakteristisch und ein Zeichen seines hohen Alters.) - die kursiven Vokale sind lang und betont, ae ist nich ä, sondern ein Diphthong ähnlich wie ai. ao ist Diphthong ähnlich wie au, also verschieden von ao.

   Wichtig und für die Erzielung des Mantrisch-Rhythmischen unerläßlich ist die richtige Betonung. Man kommt ihr am nächsten, wenn man die teils durch den Kursivdruck der Vokale angedeuteten, teils durch Vokalhäufung sich ergebenden Längen von den Kürzen deutlich unterscheidet, d.h. die Längen sehr gedehnt, die Kürzen sehr kurz ausspricht.)

At fravakhshya angheush mainyu puruye

Yayao spanyao uiti mravat yöm angröm

noit na manao noit söngha noit khratavo

naeda varana noit ukhdha naeda shyaothana

noit daenao noit urvo'no hatschainte

 

'Und ich will reden von den beiden Geistern im Urbeginne der Welt,

von denen der heiligere also sprach zum argen:

Nicht stimmen unsere Geistselbste, nicht unsere

Lehren, nicht unsere Willensentschlüsse,

nicht unsere Glaubensüberzeugungen, nicht unsere

Worte und nicht unsere Taten, nicht unsere ganzen

Wesenheiten und Seelen in irgend einer Harmonie zusammen'.

Ähnlich spricht in der Gatha Yasna 49 Zarathustra selbst von seinem ewigen Widersacher Ahriman:

at ma yava böndvo pafre mazishto

yo duzhöröthrish tschikhnusha asha Mazda

vanguhi ada gaidi moi a moi arapa

ahya vohu vida manangha

 

'Und immer arbeitet mir entgegen (kreuzt meine Absichten) der Erzverpester,

der ich seine bösen Absichten wieder gut zu machen suche durch die Kraft der Wahrheit, o Mazda,

gerechter Ausgleich, komme zu mir,

sei mir Stütze und Halt, bestimme jenem durch den Geist des Guten seinen Untergang.'


Ahura Mazda erscheint in den Gathas als der Herr der ewigen Weltenordnung und des Karma. Das avestische Wort für diese Weltenordnung, Asha (spr. Ascha), ist eins der in Wirklichkeit unübersetzbaren Wörter, dessen Nuancen kein deutsches, überhaupt kein modernes Wort in sich schließt. Es entspricht lautgesetzlich und in seinem Sinne dem vedischen Rta, jenem Worte, das eigentlich den großen Rhythmus, den Weltenrhythmus bedeutet, der sich auf der einen Seite in der Naturgesetzlichkeit, im festgeordneten Wandel der Gestirne und im Jahreslauf offenbart, und andrerseits in der Ordnung des öffentlichen Kultus und kultischen Rituals (Ritus = rta) sich abspiegelt. Wir können Rta (=Avesta Asha) auch als den großen kosmischen Kultus empfinden, von dem der irdische Kultus das Abbild ist. Bei all dem sind solche Namen wie Asha gar nicht die bloßen abstrakten Begriffe, als die sie erscheinen, wenn wir übersetzen: ewige Weltenordnung, heilige Wahrheit, heiliges Recht usw., sondern im Grunde genommen Wesenheiten, göttlich empfundene Wesenheiten, an die auch bestimmte Gebete gerichtet werden. Ahura Mazdao ist der Schöpfer dieses Asha, dieser ewigen Weltenordnung, dieses großen Weltenrhythmus und kosmischen Kultus. Aber er schafft ihn nicht als irgend ein Abstraktum, sondern als eine Wesenheit oder einen Reigen schöpferischer, rhythmisch wirkender Wesenheiten. In diesem Sinne sind alle die Fragen zu verstehen, die in der Gatha Yasna 44 Zarathustra an Ahura Mazda so richtet, daß immer die Antwort: "Ahura Mazda selbst" hinzuzudenken ist:


tat thwa pörösa örösh moi vaotscha Ahura

kasna za'ntha pata ashahya pouroyo

kasna hvöng staröm-tscha dat advanöm

kö (immer als breites langes offenes ö zu sprechen, gegen aö) ya mao ukhshyeiti nöröfsaiti thwat

tatschit Mazda vasömi anyatscha viduye


Dies will ich Dich fragen, künde es mir richtig im Worte, o Herr des Lebens:

'Wer war im Schöpfungs-Urbeginn der Vater des heiligen Weltenrhythmus (des Asha)?

Wer wies der harmonisch erklingenden Sonne und den Sternen ihre Bahn?

Wer bewirkte, daß der Mond zunimmt und immer (periodisch) wieder abnimmt?

Diese Dinge, o Meister der Weisheit, und andere noch wünsche ich zu wissen'.


   Die dritte Zeile würde der Philologe einfach übersetzen 'Wer wies der Sonne und den Sternen ihre Bahn'. Nun zeigt das Wort für Sonne (hier in der Genitivform hvöng) im Gatha-Avesta eine merkwürdige Physiognomie. Es heißt sonst hvar, und diese Form ist in dem späteren, jüngeren Avesta die ausschließliche geworden. Dieses hvar, dem Sanskrit svar entsprechend (damit verwandt auch sansk. surya 'Sonne') ist ein deutliches Lichtwort mit dem hebräischen 'hor, aor, 'Licht' ursprachlich verwandt. Da ist es nun sehr bemerkenswert, daß im älteren Gatha-Avesta neben dieses Lichtwort mit r ein anderes, gleichfalls 'Sonne' bedeutendes Wort mit n tritt: hvan, davon Genitiv hvöng. Wie hvar dem sanskritischen svar ('himmlisches Licht'), so entspricht hvan dem sanskritischen svan (klingen). Wie im r das lichthaft Strahlende, liegt im n das Tönende, Klingende. D.h. wir haben neben dem eigentlichen Lichtwort für 'Sonne' noch ein anderes, älteres Wort, das durch seine Laute deutlich davon spricht, daß man in Zeiten eines älteren Menschheitsbewußtseins die Sonne nicht nur als Lichterscheinung, sondern noch als tönend erlebte, man denke an Goethes Faust: 'Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang'. (Über das Klang-Erlebnis der Sonne bei Zarathustra vgl. noch die Ausführungen Dr.Steiners im Zyklus 'Matthäus-Evangelium' IIIS9: 'Nun war gerade derjenige, der am gewaltigsten, am großartigsten darauf hinwies, daß hinter der Wirksamkeit der Sonne, wie sie auf die Erde hereinstrahlt mit ihrem Licht und ihrer Wärme, noch etwas anderes ist, was Klangwirksamkeit, ja Lebenswirksamkeit ist... das war Zarathustra oder Zoroaster'.) Auch das deutsche Wort 'Sonne' (vgl. latein. sonus 'Klang') bewahrt eine Erinnerung an diese Zusammenhänge. Nicht mehr in der von Philologen angenommenen Entstehungszeit des Gatha-Avesta, wohl aber in der Zeit des Ur-Zarathustra, von deren Geist mindestens noch in den alten Gathas ein deutlich spürbarer Hauch weht, lebte der Mensch, lebte vor allem ein großer Führer und Inspirator der ganzen Kulturepoche wie Zarathustra noch in einem solchen Sonnen- und planetarischen Bewußtsein, daß der astralische Leib die großen Sonnen- und Sternen-Rhythmen noch tönend erlebte. Es war noch das Bewußtsein der Inspiration, des Vernehmens der geistigen Weltentöne vorhanden. Und aus einem solchen Bewußtsein heraus hat man die Sonne noch neben dem Lichtwort mit einem eigenartigen Klangwort bezeichnet, das gerade in der hier vorkommenden Genitivform hvöng sehr charakteristisch wirkt, wie unmittelbar in Lauten die große Sonnenharmonie mantrisch-musikalisch wiedergebend. Es durfte darum, abseits vom Wörterbuch, aber im Einklang mit der ursprünglichen Offenbarung der Laute, die Übersetzung 'Wer wies der harmonisch erklingenden Sonne ihre Bahn' gegeben werden.

   Als eine weitere Strophe folgt:

  tat thwa pörösa örösh moi vaotscha Ahura

kö huapao raotschaos-tscha dat tömaos-tscha

kö huapao hvafnöm-tscha dat zaema-tscha

kö ya ushao arömpithwa khsahpa-tscha

yao manaothrish tschazdonghvantöm aröthahya

 

'Dies will ich Dich fragen, künde es mir richtig im Worte, o Herr des Lebens:

Welcher Künstler schuf das Licht (die Lichtwelten, Lichträume, Lichtwesen) und die Finsternisse,

welcher Künstler schuf den Schlaf und das Wachen,

welcher Künstler das Werden von Morgen, Mittag, Nacht,

die dem, der sich zu entscheiden weiß,

Mahnerinnen an die große Entscheidung sind'.


   Ahura ist hier der große Welten-Künstler, ein Gedanke, der bei Zarathustra eine große Rolle spielt, während er sich im Indischen nur wenig findet, nur da bezeichnenderweise, wo es sich um jene Göttergestalt handelt, hinter der die verborgene schöpferische Christus-Wesenheit steht: Vishvakarman oder Tvashtar, der große Weltenkünstler oder Welten-Zimmermann. Das Avesta-Wort huapao (ganz wörtlich: der schöne Werke vollbringt, Schön-Bildner) deutet noch unmittelbarer auf das künstlerische Moment im göttlichen Schaffen.

   Daß Ahura Mazda insonderheit auch der Schöpfer der moralischen Weltenordnung und des Schicksalsausgleichs (Karma) ist, spricht sich in der folgenden Gatha (Yasna 43) aus, wo Zarathustra aus seiner Geistesschau heraus spricht, in der er sich zu den Welten-Urbeginnen erhebt:

Spöntöm at thwa Mazda mönghi Ahura

hyat thwa angheush za'nthoi darösöm paouruyehya

hyat dao shyaothana mizhdava'n ya-tscha ukhdha

aköm akai vanghuhim ashim vanghaove

thwa hunara damoish urvaese apöme


'Und als den Heiligen erkannte ich Dich im Geiste,

o Meister der Weisheit (Mazda), Herr des Lebens (Ahura),

als ich Dich erschaute bei der Erschaffung des uranfänglichen Lebens,

als Du Taten und Worten ihren schicksalmäßigen Ausgleich schufest,

durch Dein machtvolles Können dem Bösen das böse,

dem Guten das Gute Los beim letzten Ende

der Erdenentwicklung'!

(Dieses Wort hier viel richtiger als das in den Wörterbüchern verzeichnete, hier gar nicht passende 'Schöpfung'. Auch die biblische Schöpfung ist ja eine durch lange Weltperioden sich erstreckende Entwickelung, und letzten Endes ist Schöpfung und Weltentwicklung ein und dasselbe.)

***

   

   In den Düsseldorfer Zyklus-Vorträgen wie in dem Buche 'Geheimwissenschaft' hat Rudolf Steiner gezeigt, wie das Feuer, der Wärme-Äther, in einer gewissen Weise im Mittelpunkte alles - auf der einen Seite nach dem Physisch-Materiellen, auf der andern Seite nach dem Geistig-Seelischen hin tendierenden - Weltenwerdens steht, wie es selber der unmittelbare Ausfluß des großen Weltenopfers am Altare der Schöpfung ist. So finden wir dann auch bedeutungsvoll das heilige Feuer, die züngelnde Opferflamme, in vorchristlichen Religionen. , Mysterien und Kulten. Auch in ihm ist das Irdisch-Kultische eine Abspiegelung des großen kosmischen Kultus, das irdische Feuer das Abbild des kosmischen Opferfeuers. Darum überall in alten Mysterien und Kulten die Verehrung des 'heiligen Feuers'. Aber nirgendwo hat man diese Heiligkeit des Feuers mehr empfunden als in der Zarathustra-Religion. Sie ist der Feuerkultus, die Feuer-Verehrung kat exochen, in keiner anderen Religion wird so stark die heiligende und läuternde Wirkung des Feuers betont. Darum kennt gerade die Zarathustra-Religion keine Leichenverbrennung, weil die toten Überrest, die unreinen Leichenteile nicht mit dem heiligen und reinen Elemente des Feuers in Berührung kommen sollen.

   Letzten Endes meint Zarathustra mit dem heiligen Feuer nicht nur das physische, sondern ein höheres ätherisches Feuer. Schon das Avestawort athar, Feuer, weist auf das griechische aither, Äther, hion. (Während im Indischen und in der indischen Sprache mehr aus dem Ätherischen auf das Physische hingeschaut wird, finden wir bei Zarathustra wie auch im Altägyptischen das Hinschauen auf das Ätherische.) Das Heilige und Reinigende des Feuers tritt besonders da hervor, wo von dem großen Feuerordal des jüngsten Gerichtes, der großen Entscheidung am Ende der Weltperiode die Rede ist. Wunderbar herausgearbeitet ist in der Zarathustralehre der Gedanke, daß es eigentlich gar nicht eine Verschiedenheit von Lohn und Strafte, Lohn für die Guten, Strafe für die Bösen usw. in der großen Weltenkrisis geben wird, sondern daß es ein und dasselbe Element, das gleiche Ätherisch-Übersinnliche sein wird, an das beide Gruppen von Seelen herangeführt werden, in das sie beide einmal hinein müssen. Für die Guten, für die durch ihr ganzes früheres Leben richtig innerlich Vorbereiteten, wird dieses Element ein labender Milchstrom, für die andern wird es ein verzehrender Feuerstrom sein. Es sind, um mit den Worten eines unseres heutigen Rituale zu reden, die "reinen Äthersphären, die Schuldloses nur tragen können auf den erglänzenden Geisteswellen."

   Schon in den alten Gathas des Zarathustra finden wir bedeutungsvolle Hinweise auf das große Feuer-Ordal am Ende der Zeiten, und die beiden Gruppen, die das Ziel der Entwicklung erreicht haben und die es nicht erreicht haben, die sich dann gegenüberstehen werden. So die Gatha in Yasna 51,9:


    ya'm khshnutöm ranoibya dao

thwaa athra sukhra Mazda

ayangha khshusta aibi ahvahu dakhstöm davoi

rashayenghe drögvantöm savayo ashavanöm


'Das Ordal, das Du vor die beiden Parteien hinstellen

 wirst in Deinem reinen Feuer, o Mazda,

mit flüssigem Erz, um damit an den Seelen die Probe zu vollziehen,

daß es schädige den Truggenossen, daß es Heil dem Frommen

(dem Genossen der Wahrheit) sei'...


   Drögvant, 'Truggenosse', wie die Bösen hier genannt werden, ist abgeleitet von Drug oder Drudsch, 'Lüge, Trug, Verleumdung', wohl auch etymologisch das deutsche Trug (auch an Druck, Albdruck, 'Trud' usw. wäre zu erinnern, denn auch die Drudsch wird albdruck-artig wesenhaft als weiblicher Dämon geschaut). Drudsch ist das Gegenteil der guten Genie Asha, 'heilige Wahrheit, heilige Ordnung, heiliges Recht'. In seinem Zarathustra-Vortrag weist Dr. Steiner darauf hin, wie sich für Zarathustra das Böse ganz besonders in dem, was der Wahrheit widerstreitet, in Lug und Trug, in der Verleumdung verkörpert. Dieses Tod und Untergang bringende Wesen des Truges, der Lüge und Verleumdung heißt im Avesta Drudsch (Drug), wer ihm anhängt, ist drögvant, ein Truggenosse, der bei der großen Entscheidung am Ende der Dinge ausgeschieden wird.

   Ein Gebet, das der Zarathustra-Gläubige im Hinblick auf die große Entscheidung im Feuer-Ordal an Ahura Mazda richtet, findet sich in der eben angeführten Gatha, Yasna 51,7:

Daidi moi yo ga'm tasho apas-tscha urvaraos-tscha

amörötata-haurvata spönishta mainyu Mazda

tövishi utayuiti manangha vohu sönnghe


'Gib mir, der Du die Kuh erschufest und das Wasser und die Pflanzen,

das unsterbliche Heil durch Deinen heiligen Geist, o Mazda,

und verjüngende Kraft durch den Geist des Guten

bei der großen Entscheidung'.


   Auch Stellen finden sich, wo das Hindurchschreiten durch das Feuer, die Feuerprobe, wie ein Einweihungsvorgang durchlebt wird, und Yasna 36 enthält Gebete, die vor dem Durchschreiten dieses Feuers an Ahura Mazda gerichtet werden:

ahya thwa athro vörözöna paouruye

pairidsch asamaide Mazda Ahura thwa

thwa mainyu spönishta yo a akhtish

ahmai yöm akhtoyoi daonghe

urvazishto hvo nao yataya

paitidschamyao atarö Mazdao Ahurahya

urvazishtahya urvazya na'mishtahya

nömangha nao mazishtai yaongha'm paitidschamyao


'Durch dieses Feuers Wirke
n wir dir zuerst,

Dir, Meister der Weisheit, Herr des Lebens,

Dir durch Deinen heiligsten Geist (der im Feuer waltet),

der ein Schmerz wird für den,

den Du zum Schmerz bestimmst.

Als wonnereichstes mögest Du uns entgegenkommen,

o Feuer des Ahura Mazda, bei der Prüfung

mit der Wonne des Wonnereichsten,

mit der Ehrfurcht des Ehrfürchtigsten

mögest Du uns entgegenkommen

zum größten aller Ereignisse'.


   Spätere Stellen derselben Gatha klingen zum Teil fast schon an christliche Messetexte an:

nömahyamahi ishuidyamahi thwa Mazda Ahura

vispaish thwa humataish vispaish hukhtaish

vispaish hvarshtaish pairidschasamaide


'Wir verehren Dich, wir erstatten Dir schuldigen Dank,

o Geist der Weisheit, Herr des Lebens,

wir nahen Dir mit allen unsern reinen Gedanken,

mit allen unsern rechten Worten,

mit allen unsern guten Taten'.


sraeshta'm at toi körhrpöm köhrpa'm

avaedayamahi Mazda Ahura

ima raotschao barözishtöm barözimana'm

avat yat hvaro avatschi


"Wir weihen Dir den edelsten Leib aller Leiber (köhrp = corpus Körper),

o Geist der Weisheit, Herr des Lebens,

Dir dieses Tageslicht, Dir die höchste der Höhen

dort oben, die man 'Sonne nennt'."

***

   Bis hierher waren nur Gatha-Stellen ausgewählt, also Stücke aus den ältesten, auch schwierigsten Abschnitten des Avesta, die noch am reinsten den Geist des Ur-Zarathustra widerspiegeln.   Beim jüngeren Avesta erscheint dieser Geist in der künstlerischen Form eines späteren, uns näherliegenden Zeitalters.   Deutlicher als in den Gathas, tritt hier hervor die Anschauung der die höchste Gottheit, Ahura Mazdao, umgebenden hohen hierarchischen Wesen (wohl: Geister der Form), der sog. 'Unsterblichen Heiligen', der auch im Zarathustra-Vortrag erwähnten Amösha-Spönta oder Ameshaspents. Es sind ihrer im Avesta sechs, oder wenn die über ihnen stehende Gottheit Ahura Mazda in einer Art Widerspiegelung nochmals unter ihnen erscheint, sieben. Die schon genannte Gottheit Asha gehört ihnen an, außerdem Vohu Mano (der 'Geist des Guten'), Khshathra (Herrschaft, Reich), Armaiti (das fromm-ergebene Denken), Haurvatat (Heilsfülle), Ameretat (Unsterblichkeit, insonderheit als Genie der Pflanzenwelt und ihrer heilenden und verjüngenden Kräfte). Die Zwölfzahl, von der der Vortrag spricht, ergibt sich, indem den sechs guten Geistern die dunkeln Antipoden hinzugefügt sind, deren Namen uns im Avesta gleichfalls mitgeteilt werden (Nach Dr. Steiners Vortrag haben die sieben im Avesta genannten Ameshaspents die Beziehungen zu den sieben hellen Tierkreiszeichen, die fünf andern die zu den dunkeln Zeichen. Da die Planeten ihre 'Häuser' im Tierkreis haben, wird sich auch eine Beziehung zu den Planeten finden lassen. Ahura Mazdao selbst gehört zur Sonne, Vohu Mano wohl zum Monde, Ameretat zur Venus, Armaiti (mit 'Harmonie' verwandt) zum Jupiter, Haurvatat (vgl. das griech. plutos in Apok.5,12) zum Saturn, Kshathra zum Mars, Asha zum Merkur).   Über das Verhältnis dieser Ameshaspents zu Ahura Mazdao Yascht 13,81:
yenghe urva ma'nthro spöntoaurusho raokhshno fradörösroköhpas-tscha yao raethwayeiti srirao Amöshana'mSpöntana'm

vörözdao Amöshana'm Spöntana'm

hvarökhshaetöm aurvat-aspöm yazamaide


'Dessen Ätherseele (Lebensgeist) das heilige Opferwort (Mantram) ist,

das lichte, leuchtende, weithin erstrahlende,

und dessen körperliche Gestalten, in die er sich hüllt,

die schönen Leiber der 'Unsterblichen Heiligen' (Ameshaspents) sind,

die hohen Leiber der 'Unsterblichen Heiligen',

Ihn, den strahlenden Sonnengeist (Ahura Mazdao)

mit den schnellen Rossen verehren wir im Gebet'.


   Das Wort raokhshno in der 2.Zeile ist eines der überaus zahlreichen Licht- und Leuchteworte des Avesta. Gegenüber dem Reichtum der Nuancen des Lichtes und Leuchtens, die diese Sprache zum Ausdruck bringt, erscheint jede Übersetzung armselig. Die Sprache selbst hat hir Aura, und was sie ausdrückt, sind nicht die physischen Konturen der Dinge und Wesen, sondern mehr ihr Ätherisches, ihre Aura. Das Wort raokhshno (spr. ao diphthongisch, kh wie ch, sh wie sch) entspricht lautgesetzlich genau dem indischen rukshna. Für den Philologen sind beide Wort identisch. Aber während ein geistiges Lauterleben bei rukshna sozusagen nur die physischen Konturen des leuchtenden Gegenstandes vor sich hat, fühlen wir in raokhshno gleichsam seine Äther-Aura aufleuchten, wir denken an die feinen rauchartigen Lichtgebilde, die Hellsichtige und Sensitive um Kristalle, Pflanzen, Menschenhände usw. wahrnehmen, an die Erscheinungen, die Reichenbach "Od" nannte und abbildete.

   Weiter unten wird dann von dem starken, aktiven, weithin dringenden (vörözidoithra) Auge der Ameshaspents gesprochen und von ihrer einmütigen Harmonie:

yoi hapta hamomangho

yoi hapta hamovatschangho

yoi hapta hamoshyaothnaongho

yaesha'm asti hamöm mano

hamöm vatscho hamöm shyaothnöm

hamo pata-tscha frasasta-tscha

yo dadhvao Ahuro Mazdao


'Die alle sieben gleichen Denkens,

die alle sieben gleichen Wortes,

die alle sieben gleichen Wirkens sind,

deren Denken das gleiche ist,

deren Worte die gleichen sind,

deren Wirken das gleiche ist,

die alle den gleichen Vater und Meister haben,

nämlich den Schöpfer Ahura Mazda'.


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   Eine weitere Kategorie von Wesenheiten sind die Izeds (so das persische Wort), das avestische Wort ist Yazata (Ton auf der ersten Silbe). Es sind die Erzengel des Zarathustrismus. Einige werden mit Namen genannt und besonders gefeiert, so z.B. Sraosha ('gehorsamer Sinn'), dann vor allem der Sonnen-Erzengel Mithra, an dessen Namen sich in einer der späteren Kulturperioden die Mithras-Mysterien knüpfen. In der Form Mitra kommt der Name auch im Rigveda vor, er bezeichnet da einen Sonnengott, die Gottheit des lichten Tageshimmels.

   Im Avesta sind an den Erzengel Mithra großzügige Hymnen gerichtet. Ihm gilt der Lobpreis in Yascht 10,13:

yo paoiryo mainyavo yazato taro Hara'm asnaoiti

paurvanaemat amöshahe hu yat aurvat-aspahe

yo paoiryo zaranyopiso srirao baröshnava göröwnaiti

adhat vispöm adidhaiti airyoshayanöm sövishto


'Der als erstes geistiges Engelwesen über das hohe Hara-Gebirge (Kaukasus) emporsteigt, voraus vor der unsterblichen Sonne mit den schnellen Rossen,

der als erster die in goldenem Schimmer sich schmückenden herrlichen Höhen gewinnt,

von dort aus überschaut er das ganze Land der Arier, der starke Held'.


(Frank Teichmann, der Leiter des Anthroposophischen Studienseminars in Stuttgart, hat immer die Dämmerung verglichen mit dem Erzengel Michael. Sie ist noch nicht die Sonne selbst, aber ihre Ankunftsverkündigung. Und er hat damit eine Ausführung Rudolf Steiners in seiner 'Philosophie der Freiheit' bebildert: ..." Nur wenn man sich zu der in der unbefangenen Beobachtung gewonnenen Anerkennung dieser Wahrheit über die intuitive Wesenheit des Denkens hindurchgerungen hat, gelingt es, den Weg frei zu bekommen für eine Anschauung der menschlichen leiblich-seelischen Organisation. Man erkennt, daß diese Organisation an dem Wesen des Denkens nichts bewirken kann. Dem scheint zunächst der ganz offenbare Tatbestand zu widersprechen. Das menschliche Denken tritt für die gewöhnliche Erfahrung nur an und durch diese Organisation auf. Dieses Auftreten macht sich so stark geltend, daß es in seiner wahren Bedeutung nur von demjenigen durchschaut werden kann, der erkannt hat, wie im Wesenhaften des Denkens nichts von dieser Organisation mitspielt. Einem solchen wird es dann aber auch nicht mehr entgehen können, wie eigentümlich geartet das Verhältnis der menschlichen Organisation zum Denken ist. Diese bewirkt nämlich nichts an dem Wesenhaften des Denkens, sondern sie weicht, wenn die Tätigkeit des Denkens auftritt, zurück; sie hebt ihre eigene Tätigkeit auf, sie macht einen Platz frei; und an dem freigewordenen Platz tritt das Denken auf. Dem Wesenhaften, das im Denken wirkt, obliegt ein Doppeltes: Erstens drängt es die menschliche Organisation in deren eigener Tätigkeit zurück, und zweitens setzt es sich selbst an deren Stelle. Denn auch das erste, die Zurückdrängung der Leibesorganisation, ist Folge der Denktätigkeit. Und zwar desjenigen Teiles derselben, der das Erscheinen des Denkens vorbereitet. Man ersieht aus diesem, in welchem Sinne das Denken in der Leibesorganisation sein Gegenbild findet. Und wenn man dieses ersieht, wird man nicht mehr die Bedeutung dieses Gegenbildes für das Denken selbst verkennen können. Wer über einen erweichten Boden geht, dessen Fußspuren graben sich in dem Boden ein. Man wird nicht versucht sein, zu sagen, die Fußspurenformen seien von Kräften des Bodens, von unten herauf, getrieben worden. Man wird diesen Kräften keinen Anteil an dem Zustandekommen der Spurenformen zuschreiben. Ebensowenig wird, wer die Wesenheit des Denkens unbefangen beobachtet, den Spuren im Leibesorganismus an dieser Wesenheit einen Anteil zuschreiben, die dadurch entstehen, daß das Denken sein Erscheinen durch den Leib vorbereitet (Wie innerhalb der Psychologie, der Physiologie usw. sich diese Anschauung geltend macht, hat der Verfasser in Schriften, die auf dieses Buch gefolgt sind, nach verschiedenen Richtungen dargestellt. Hier sollte nur das gekennzeichnet werden, was die unbefangene Beobachtung des Denkens selbst ergibt) Philosophie der Freiheit GA4S110. 


   Der Gebirgsname Hara erinnert an das hebräische har, 'Berg'. Noch stärker als der Inder, und mit wieder einer andern Nuance als der Hebräer, erlebt der arische Iranier die Heiligkeit und die Herrlichkeit der Bergeshöhe. Der Avesta nennt die Berge an vielen Stellen: ashahvathra, d.h. 'wo sich's wieder im großen Weltenrhythmus behaglich atmen läßt'!   Die Götter, so empfindet auch der alte Iranier, wohnen auf der Bergeshöhe, die des Menschen Fuß nicht betritt. Dort oben ist Mithras Behausung. Von da bekämpft er den Widersacher der Götter, Ahriman, Yascht 10,52:
aot yat duzhdao fradvaraitiyo aghavarösh thwashagamathwashöm yudschyeiti vashömMithro yo rouru-gaoyaoitishSraoshas-tscha ashyo suro...rasmodschatöm va dim dschainti amodschatöm va
'Kommt dann der Böse hervorgestürzt,der Übeltäter raschen Laufs,dann schirrt er eilig seinen Wagen,Mithra, des reichen Weidelandes Herr,Und Sraosha, der heilige Held,...und schlägt ihn in der Schlacht oder im Einzelkampf'.
   An eine dritte Gruppe von Wesenheiten, an die Fravashi (Engel, besonders Schutzengel), ist der Hymnus Yascht 13 (Fravardin-Yascht) gerichtet:
mraot Ahuro Mazdao Spitamai Zarathushtraiaeva te zavarö aodschas-tschhvaröno avas-tscha rafnas-tschaframrava örösvo Spitamayat ashaona'm Fravashina'mughrana'm aiwithurana'm

 yatha me dschasan avanghe yatha me barön upasha'm

ughrao ashaona'm Fravashayo


'Also sprach Ahura Mazda zu Spitama Zarathustra:

Wohlan, ich will dir künden, o Zarathustra,

die Kraft und Stärke,

den Glanz (Glorienschein) und den Schutz und Schirm

der heiligen Engel, der gewaltigen, überkräftigen,

wie sie mir zu Hilfe kamen,

wie sie mir Beistand leisteten,

die starken Schutzengel der Frommen'.


aongha'm raya hvarönangha-tsch

vidharaem Zarathushtra aom asmanöm

yo ustscha raokhshno fradörösro

yo ima'm za'm atscha pairitscha buvava ma'nayön ahe yatha vish

aem yo hishtaite mainyustato

handrakhto duraekarano

ayangho köhrpa hvaenahe

raotschahino aoi thrishva

yim Mazdao vaste vanghanöm

stöhrpaesanghöm mainyutashtöm


'Durch ihren Glanz und ihre Glorie

spannte ich, Zarathustra, jenen Himmel da oben aus,

den leuchtenden, der uns in Weltenfernen schauen läßt,

der diese Erde von allen Seiten her umgibt,

gleichwie - man könnte meinen - eine Burg;

er, der dasteht, von Geistern im Gleichgewicht erhalten,

festgegründet, fernbegrenzt,

mit einem Körper gleich lichtem Erz

hinstrahlend in alle drei Gebiete,

in den sich Mazda hüllt als wie in ein Gewand,

der sternendurchwirkte, von Geistern gezimmert'.


   Himmelsfernen und Sternenräume leuchten in diesen Strophen vor uns auf, wenn auch die Übersetzung nur schwach die Leuchtekraft der Avestaworte wiederzugeben vermag. Bemerkenswert ist in der dritten Zeile der zweiten Strophe das Wort für Himmel, 'asman' (hier Akkusativ asmanöm), das zunächst die Bedeutung 'Stein' hat und von da aus zur Bedeutung 'Himmel' gekommen ist. Wir fühlen uns in Urzeiten des Menschheitsbewußtseins versetzt, wo man den Zusammenhang des Kosmisch-Sternenhaften mit dem Mineralisch-Gesteinhaften noch hellseherisch erlebte, jenen Zusammenhang, den uns Novalis erahnen läßt, wenn er vom Sternhimmel als dem erhabenen Dom des Steinreiches spricht oder sonst die Geheimnisse der Sterne mit denen der Steine in Verbindung bringt. Auch eine Beziehung des Funkens im Stein zum Blitzfunken in der Himmelswolke mag im Bewußtsein mit eine Rolle gespielt haben. Auf jeden Fall erkennen wir, wie weit die Nuancen unserer heutigen Worte von denen der Avesta-Worte entfernt sind.

   Ein wichtiger Gesichtspunkt in Rudolf Steiners Zarathustra-Vortrag ist der Hinweis auf den Unterschied der Zarathustraanschauung von der mystischen Strömung des alten Indiens. Dort in Indien vorwiegend ein Hineinschauen in Seelentiefen. Bei Zarathustra hingegen "dringen die Kräfte, die in unserer Seele verstärkt sind, hinter den Schleier der Außenwelt in das übersinnliche Reich, das sich ausbreitet ins Unendliche - man möchte sagen: in unendliche Fernen". Ganz anders als der alte Inder, so können wir empfinden, erlebte Zarathustra und der Zarathustra-Verehrer die Sterne. Der Inder hat wohl auch Worte für den Stern, aber es sind mehr abstrakte Worte, er hat den Begriff 'Stern', aber er lebt nicht mit dem Wesenhaften der Sterne. Der Zarathustrier aber fühlt in den Sternen 'Wesen eigenen Wesens', das Herz wird ihm warm, wenn die Sterne vor ihm aufleuchten, und auf Schwingen der Andacht wird er dann selbst wie in Weltenweiten hinausgetragen. Der Stern wird ihm zum Wecker hellsichtigen (astralischen!) Schauens. So hat der alte Iranier auch noch das wirkliche alte arische Urwort für 'Stern', das der Inder schon in der Sanskrit-Zeit verloren hat, und dieses Urwort ist kein anderes als jenes, das wir auch im deutschen 'Stern' - hier nur durch das auslautende n verstärkt - vor uns haben, und das uns im englischen 'star' wieder wie auf seine ursprüngliche Urwort-Form reduziert erscheint. Denn auch im alten Avesta heißt 'star' der Stern, nur daß der Vokal in der Zusammensetzung wechselt oder auch ganz wegfällt. In unserer Strophe erscheint das Wort am Schlusse in der Form 'stöhr' in stöhrpaesanghöm 'sternendurchwirkt'.

   Je mehr wir uns in den Avesta vertiefen, je mehr erkennen wir in ihm noch etwas von alter Sternenweisheit, und in der Sprache selbst kommt dieses Sternenhafte zum Ausdruck. Die innerste Seele der Zarathustra-Weisheit ist der Stern, und auch beim Zarathustra-Namen werden die am Ende recht behalten, die in ihm den Stern (star, str) gefunden haben. Im Stern schaut Zarathustra hin auf das höhere Ich. Er spricht nicht in irgend einer abstrakten Lehre von diesem höheren Ich, sondern eben vom 'Stern'. Bei Zarathustra, so wurde schon einmal hervorgehoben, liegt letzten Endes der Keim auch für Sternenweisheit des alten Ägyptens, die jener fernen Urzeit entstammt, die über die eigentlich 'ägyptisch-chaldäische Kulturzeit' weit hinaus eben in das Zarathustra-Zeitalter hineinreicht. Auch in den späteren ägyptischen Zeiten spiegelt sich diese Sternen-Weisheit und Sternen-Ehrfurcht besonders noch in der Verehrung des Sirius-Sternes und des mit ihm verbundenen Orion-Sternbildes. Dies Seele der Isis erblickte man im Sirius (Sothis-Stern), die Seele des Osiris im Orion. Da erscheint es als ganz besonders bedeutungsvoll, wenn wir auch im Avesta (Yascht 8) einen großen, die ganze Fülle der avestischen Leuchteworte vor uns ausbreitenden Hymnus an den Sirius-Stern (Avest: Tishtriya) finden.

***

   In echtem Zarathustra-Geiste kehrt die Fravardin-Yascht aus den Weltenfernen und Sternenhöhen zur Erde zurück, auf die der alte Iranier schon viel fester und kampfbereiter sich zu stellen wußte, als noch die Inder. Auch in der Erde und hinter der Erde sieht Zarathustras Auge das Geistig-Wesenhafte, auch an ihrem Schaffen und Werden haben die Engelhierarchien Anteil, Yascht 13,9:

aongha'm raya hvarönangha-tscha vidaraem Zarathushtra

za'm pöröthwim ahuradata'm

ya'm masim-tscha pathana'm-tscha

ya baröthri paraosh srirahe

ya vispöm ahum astvantöm

baraita dschum-tscha iristöm-tscha

garayas-tscha yo börözanto

pouruvastraongho afönto


'Durch ihren Glanz und ihre Glorie, o Zarathustra,

spannte ich diese weite göttlich erschaffene Erde aus,

die große ausgedehnte, die die Trägerin vieles Schönen ist,

die alles physische (eigentlich wörtlich: mit Knochensystem begabte, astvantöm) Wesen trägt, das lebend Regsame und das Tote (das in der festen Form Erstarrte - iristöm),

und die hochaufragenden Berge, reich an Weidetriften und Wasserläufen'.


   Zarathustra ist der erste der großen Menschheits-Eingeweihten, der in solcher Weise auf der Erde festgegründet steht, der erste, der den Menschen vom Sinn der Erde spricht (hier liegt einer der wenigen Anknüpfungspunkte, die vom alten Zarathustra des Avesta in die ihm sonst recht ferne Gedankenwelt Friedrich Nietzsches hinüberführen). Von keinem der großen indischen Weisen und Führer, am allerwenigsten von Buddha, könnten wir uns eine Charakteristik denken, wie sie in demselben Hymnus (Yscht 13,88) von Zarathustra gegeben wird, wo Zarathustra in einem Atem der erste Priester ('Feuer-Magier' - athaurvan), der erste Krieger ('Wagenkämpfer'- rathaeshta), der erste viehzüchtende Landwirt (vastryo fshuya'ns) genannt wird.

   Die Gegner der in dieser Yascht besungenen Engelhierarchien (Fravashi) sind die Dämonen, die Daevs oder Devs. In seinem Vortrag über Zarathustra spricht Dr.Steiner von den Gründen, die dazu geführt haben, daß dasselbe Wort, das im Indischen noch das lichte Geistwesen, deva (=deus) bezeichnete, in seiner Avestaform daeva das Wesen der dömonischen Widersacher ausdrückt, während das indische Asura, dort nur selten noch das Göttliche, meist das Dämonische der Göttergegner ausdrückend, dann in seiner avestischen Form Ahura gerade zum Namen des Göttlichen wird. Die ganze Verschiedenheit der indischen und iranischen Bewußtseinsverfassung, der indischen und iranischen Einweihungswege spricht dabei mit. Jene götterfeindlichen Devs oder Daevs werden in der Fravardin-Yascht in interessante astronomische Zusammenhänge gebracht, wenn von den Engeln dann weiter gesagt wirt (13,57-58):

  yao stra'm maongho huro

anaghrana'm raotschangha'm

patho daeshayön ashaonish

yoi para ahmat hame gatvo daröghöm

tishtönta afrashimanto

daevana'm paro tbaeshanghat

daevana'm paro draomohu.


'Die den Sternen, dem Monde und der Sonne,

die den anfangslosen Lichtern ihre heiligen rhythmischen Bahnen wiesen (den Sternen),

die zuvor an demselben Fleck lange Zeit stillestanden,

die sich nicht vorwärts bewegten aus Angst vor dem feindseligen Haß der Daevs,

vor den feindlichen Anläufen der Daevs'.

(Sprich ae nicht wie ä, sondern diphthongisch wie ai)


aat te nuram fravazönti

duraeurvaesöm adhvano urvaesöm nashömna

yim frashokörötoit vanghuyao


'Und fortab wandeln sie vorwärts'

bis sie das weite Fernziel ihres Weges dereinst erreichen

aus der fortschrittlichen Entwicklung in der Erneuerung der Erde'.

 

   Unendlich bedeutungsvoll für die ganze Zarathustra-Lehre ist der in dem Worte frashoköröti (gewöhnlich mit 'Neugestaltung' oder 'Welterneuerung' übersetzt, ganz wörtlich: 'Vorwärts-Machung', d.i fortschrittliches Schaffen und Wirken im Sinne der Welterneuerung) liegende Entwicklungsgedanke. Diesen für uns heute so wichtigen Gedanken finden wir nirgendwo deutlich in Indien. Es ist das Große bei Zarathustra, daß er und seine Sprache so deutlich und klar ihn haben. Die ganze Zarathustrareligion hat dieses Gepräge des Fortschrittlichen, auch heute noch im guten Sinne der Modernen, immer finden wir das aktive Hinarbeiten auf die Erneuerung und Neugestaltung am Ende der Dinge (d.h. der jetzigen Erdenzeit), auf dasjenige, was wir im christlichen Kultus die 'Wiederbelebung des ersterbenden Erdendaseins' nennen. Auch auf den kommenden Weltheiland (Saoshyant), den Christus (zunächst den salomonischen Jesus), wird prophetisch hingewiesen. Ehe wir dafür in Betracht kommende Stellen anführen, muß, als das Gegenstück dazu, berührt werden eine religionsgeschichtlich, insonderheit auch für die Aufhellung des Altägyptischen ungemein wichtige Schilderung der Menschheitsurzeit (d.h. in diesem Falle: der ersten nachatlantischen Kulturperiode, der 'goldenen Zeit').

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   Es findet sich diese erste Schilderung bei der Darstellung der mystischen Soma (Haoma)-Rituals, das neben dem Feuerkulte im Mittelpunkte des zarathustrischen Kultus steht. Soma, avestisch Haoma, ist eine bestimmte heilige Pflanze, deren Milchsaft gepreßt und gekeltert den berühmten, die Ekstase des höheren Bewußtseins weckenden Trank gibt. Diese höhere Ekstase wird vom niedern Rausch hier wie in Indien deutlich unterschieden. Indisches und Avestisches berühren sich eng in der Soma-Mystik. Deutlich ist hier die äußere Pflanze und der äußere Trank Bild für Geistiges. Das tritt bei Zarathustra, der überall auf das Ätherische hinsieht, am deutlichsten hervor. Er kennt die ätherische Urpflanze, den Baum Hvapi (Vendidad 5,19): "aus diesem wachsen alle meine Pflanzen (athra me urvarao raodhönti vispao) und aller Pflanzen Arten (visposarödho, also ganz wie Genesis 1,11-12) zu hunderten und tausenden und Myriaden mal Myriaden". So ist der Soma in der Sternenweisheit Zarathustras letzten Endes die kosmische Essenz der Sterne selbst, der belebende Tau der Sterne, der in der Menschenseele das astralische Hellsehen weckt, das in der Zarathustra-Periode noch ein wirkliches Sonnenhellsehen war. Was in der Ur-Zarathustra-Zeit als eine Realität vorhanden war, lebt in den späteren Epochen als Erinnerung. Man lebte in der Zeit, in der die Dokumente des jüngeren Avesta entstanden sind, in der Zeit des späteren Zarathustra, noch in der Erinnerung an die großen Zeiten des alten Hellsehens, der alten Sonnen-Seher-Kraft, die sich an den Namen des großen Zarathustra knüpft, und an gewisse andere Namen, die religionsgeschichtlich und urgeschichtlich von hohem Interesse sind.

   In Yasna 9 hören wir, wie Zarathustra am Morgen eine Begegnung mit dem Soma (Haoma) hat. Haoma als Wesenheit tritt beim Kultus vor ihn hin. Zarathustra fragt ihn: "Wer bist Du, den ich von allem leibhaftigen Leben als den Schönsten erblickte, der selbst eigenes sonnenhaftes unsterbliches Leben in sich hat?" Ihm erwidert die Wesenheit des Soma: "Ich bin, o Zarathustra, der heilige, den Tod fernhaltende Soma (azöm ahmi Zarathustra haomo ashava duraosho). Hole mich ein, presse mich zum Trank, singe mir zum Preis, so wie mich auch die künftigen Heilande preisen werden." Da erwiderte Zarathustra: "Verehrung dem Soma" (nömo haomai) und fragt ihn, welcher der Sterblichen ihn, den Soma, zuerst irdisch zubereitet  (und damit die Quellen des Sonnen-Hellsehens sich erschlossen) habe. Ihm erwidert der 'heilige, den Tod fernhaltende Haoma':

   Vivanghvat war der erste Mensch (Sterbliche) der physischen Welt, der mich zubereitete. Ihm ward die Gnade zuteil, daß ihm ein Sohn geboren wurde, Yima, der Lichte, der gute Hirt, der am hoheitsvollsten die lichte Sonnen-Äther-Aura (hvaröno) hatte unter den Erdgeborenen (hvarönan-guhastömo zatana'm), der unter den Sterblichen das Sonnenauge besaß (hvarödaröso mashyana'm). Dies bewirkte, daß in seinem Reiche Mensch und Vieh nicht starben, Wasser und Pflanzen nicht vertrockneten, und Nahrung nicht verging. Im Reiche des Helden Yima gab es nicht Kälte noch Hitze, nicht Alter und Tod, nicht die Krankheitsansteckung böser Dämonen. Wie Fünfzehnjährige an Wuchs schritten einher Vater und Sohn, solange Yima herrschte, der gute Hirt, des Vivanghvat Sohn'.

   Wir stoßen hier auf die 'Sage' von der 'goldenen Zeit', die wir bei so vielen Völkern finden (der Inder spricht von 'Krita Yuga'). In diesen Sagen lebt aber wirkliche Menschheitserinnerung, und war noch nicht an die eigentliche 'Paradieseszeit' vor dem 'Sündenfall' - das wäre im Sinne der anthroposophischen Betrachtung die 'frühlemurische Zeit', sondern an deren spätere Widerspiegelung. Eine solche Widerspiegelung findet zunächst statt in der frühen Atlantis nach der lemurischen Feuerkatastrophe, bei der 1. atlantischen Menschheit, die noch ganz kindlich war, ein hohes und reines Hellsehen hatte, auch mit dem Physischen noch nicht so tief verbunden war, daß sie das (objektiv vorhandene) Abfallen der Leiblichkeit als 'Tod' in der heutigen Art erlebt hätte. Auch diese frühatlantische Periode ist hier noch nicht gemeint. Sondern noch einmal in einer späteren Zeit spiegeln sich die Dinge, wenn auch schwächer wieder, nach der atlantischen Katastrophe, in der '1. nachatlantischen Kultur', in der urindischen Zeit. Vom eigentlichen 'Paradies' ist der Mensch nun schon weit entfernt, doch lebt der aus der 'Sündflut' herübergerettete Teil der Menschheit noch in einer hohen, für heutige Begriffe unvorstellbaren Geistigkeit, lebt noch mehr in der Erinnerung des Paradieses als in einem Vollbewußtsein dessen, was aus der Erde im Physischen durch den Sündenfall geworden ist. Auch da wird der Abfall des physischen Leibes noch immer nicht voll und ganz in der heutigen Weise als 'Tod' erlebt. Hunger und Durst, Hitze und Kälte, alle Not des Physischen wird da noch nicht so wie heute empfunden, weil das Bewußtsein noch mehr im Geistigen lebte. Ein hohes und reines Sonnen-Hellsehen ist noch das Erbteil dieser Menschheit. In den Mysterien der verschiedenen Völker lebte die Erinnerung an dieses Sonnenhellsehen fort, als die herrliche Urzeit dieses Mysterienwesens, das dann immer mehr in den Abstieg kommt bis zu dem großen Wendepunkt und Aufstieg eines neuen Mysterienwesens im Mysterium von Golgatha. Nicht nur auf das alte Indien räumlich beschränkt dürfen wir uns diese 'erste nachatlantische' Zeit denken, sondern mindestens eine Ausstrahlung von dort, ein Strahl des alten Sonnenhellsehens fällt auch in die Zarathustraepoche und die Zarathustragebiete, und von da aus nach Ägypten (dessen Mysterienwesen in der Urzeit seiner Entwicklung - gegen 6000 vC - noch mindestens der Zarathustra-Epoche angehört).

  Wenn wir alles dieses beachten, gehen uns auch die bedeutungsvollen Zusammenhänge auf, zu denen uns die kurze Erzählung von Vivanghvat und Yima in Yasna 9 hinführen kann. Zunächst ist Yima rein sprachlich - das ist auch für die äußere Sprachforschung unbedingt sicher - nichts anderes als das indische Yama. Yama und Yami sind im Rigveda das erste Menschenpaar Adam und Eva im Indischen. So wird, durch den Sündenfall (an den auch der Rigveda eine eigenartige, mehr als in der Bibel ins Sexuelle gezogene Erinnerung bewahrt), Yama auch der erste Sterbliche, der erste Mensch, der ins Totenreich hinuntersteigt. Dort übernimmt er dann gleich die Rolle des Herrschers, Yama wird dem Inder zum Todesgott. Der Vater dieses Yama ist Vivasvat, das göttliche Sonnenwesen. Dieses Wort entspricht lautgesetzlich genau dem avestischen Vivanghavat, den wir als Vater des Yima kennen gelernt haben. Der Unterschied ist nur der, daß der Inder bei Yama an die wirkliche Paradieszeit, der Iranier bei Yima an deren spätere Wiederspiegelung in der 'goldenen Zeit' der ersten nachatlantischen Kulturperiode denkt. Aber in einer nicht ganz vollbewußten hellseherischen Rückschau fallen die Dinge eben in einer gewissen Weise zusammen. Auch vom iranischen Yima wird im Avesta eine Art späterer Lügensündenfall erzählt, durch den er seine Sonnen-Äther-Aura, hvaröno, verliert, so daß die Herrlichkeit des Zeitalters schwindet. Damit sind die Beziehungen nicht erschöpft. Vivasvat ist nicht nur das göttliche Sonnenwesen, sondern auch der atlantische göttliche Sonnen-Eingeweihte, der Manu der gegenwärtigen Kulturepoche, der nach der atlantischen Flut die urindische Kultur der sieben Rishis begründet. Seine biblische Abspiegelung ist Noah, seine assyrisch-babylonische dder Xisuthros-Utnapischtim der Gilgamesch-Sage. So hätten wir also in Vivanghvat den avestischen Manu-Xisuthros-Noah. Neben Vivasvat erscheint im Indischen die Form Vaivasvata als Name des Manu. Und dieses Vaivasvata - hier im Sinne von 'Sohn des Vivasvat' - ist dann auch Name des Yama. So gehen die Dinge ineinander. Das Bedeutungsvollste in der avestischen Yima-Erzählung ist, daß Yima hvarödaröso genannt wird: "der das Sonnen-Auge, d.h. das alte Sonnen-Hellsehen besitzt". Nicht, ob einmal dieser oder jener König gelebt hat, ist das Entscheidende der Erzählung, sondern die Erinnerung an das im Bewußtsein der Menschheit einmal vorhandene alte Sonnenhellsehen, und bildhaft wird dieses an die Persönlichkeit eines mythisch-geschichtlichen Urkönigs geknüpft.

   Und von da aus eröffnen sich nun noch ganz bedeutungsvolle Ausblicke nach Ägypten hin, denn jenes hvarö-daröso 'mit dem Sonne' ist seiner Bedeutung nach nichts anderes als das ägyptische Osiris. Schon in der Osiris-Hieroglyphe erblicken wir das Auge, iri (vgl. griechisch iris). Auch dort in Ägypten die gleiche Sage vom Urkönig der goldenen Zeit, der glücklich regiert, in dessen Reich die Menschen den Tod nicht kennen, bis Drachenmächte (Typhon) die Oberhand gewinnen, die den Osiris, das Sonnenauge des alten Hellsehens, töten. Osiris, einst des Menschen lichtes Tages-Sonnen-Bewußtsein, lebt jetzt als Herrscher im Totenreich, und wird von dem, der dort hinuntersteigt, der sich in die Einweihung, in die Seelen-Untergründe begibt, angetroffen. Wie das von Yima ausgesagte hvarö-daröso des Avesta bewahrt der Name Osiris die Erinnerung an das Sonnenhellsehen der Menschheits-Urzeit. Wie Yama, ist Osiris der Inaugurator eines Menschheitsperiode und darnach Herrscher im Totenreich. Wie der Vater des Yama und Yima, ist Osiris zugleich das göttliche Sonnenwesen. (Näheres über diese Dinge in dem die ägyptischen Verhältnisse behandelnden Aufsatze 'Isis' - hier Anhang 13a)

***


   Von diesen Vergangenheitsbildern wenden wir uns kurz noch der Zukunftsverheißung Zarathustras zu, wie wir sie in der letzten und abschließenden neunzehnten Yascht finden. Überall und deutlicher als andere vorchristliche Religionen, deutlicher vor allem als indische Religionen enthält die Zarathustra-Religion den Hinweis auf den Heiland der Zukunft, und deutlicher als in anderen Religionen tragen diese Prophezeiungen den Charakter der Christusverheißung, ja des Hinweises auf die Wiederkunft Christi im Ätherleib (wo wir im Buddhismus ähnliche Hinweise finden, ist nicht Christus, sondern der Buddha der Zukunft, Maitreya, gemeint). Nach dem Bilde der alten iranischen Sage sollen aus dem im Ka'nsaoya (Hamun)-See aufbewahrten Samen des alten Zarathustra drei Söhne (d.h. Wiederverkörperungen) Zarathustras hervorgehen, die erste dieser Wiederverkörperungen wäre der spätere Zarathustra, der Inspirator der Avesta, die zweite der Eingeweihte Nazarathos, die dritte der salomonische Jesus, aus dem das Zarathustra-Ich dann hinüberging in die Hüllen des nathanischen Jesus, um sich in der Jordantaufe hinzuopfern für das Christus-Ich. Im Avesta heißt diese dritte Verkörperung, der eigentliche Zukunfts-Heiland (saoshyant): Astvatöröta, d.h. ganz wörtlich: "der bis ins Knochensystem hinein verkörperte große Welten-Rhythmus' (öröta = asha, skr. rta), ein wunderbarer Ausdruck für das Christusgeheimnis! Und ebenso wunderbar ist in der abschließenden, die Zukunftsausblicke enthaltenen 19. Yascht die ganze Art, wie eigentlich schon die Zarathustraverkörperung des Zukunftsheilands (Saoshyant, 'der Heilende', rein sprachlich = Jesus, der salomonische Jesus) unterschieden wird von der Sonnen-Äther-Aura (hvaröno) des Christus, die sich (in der Jordantaufe) auf ihn herniedersenkt (19,89), und wie neben dem Auferstehungs-Impulse, der 'Wiederbelebung des ersterbenden Erdendaseins' derjenige der Freiheit und des Fortschritts betont, wie der Christus-Impuls also schon vor Zarathustra als der Ich-Impuls der Freiheit erkannt wird:


ughröm kavaem hvaröno mazdadhatöm yazamaide

yat upanghatschat saoshyanta'm vöröthradschanöm

uta anyaostschit hakhayo

yat körönavat frashöm ahum

azarshöntüm amaröshöntöm

afrithyantöm apuyantöm

yavaedschim yavaesum vasokhshathöröm

yat irista paiti-usöhishtat

dschasat dschivayo amörökhtish

dathaite frahöm vasna anhush.


'Die mächtige, die königliche Verheißung tragende

Sonnen-Äther-Aura, die gottgeschaffene 

(vom Vater in Ewigkeit geboren!)

verehren wir im Gebet,

die übergehen wird auf den siegreichsten der Heilande

und die andern, seine Apostel,

die die Welt vorwärts bringt,

die sie überwinden läßt Alter und Tod,

Verwesung und Fäulnis,

die ihr verhilft zu ewigem Leben, zu ewigem Gedeihen,

zu freiem Willen ('zur Herrschaft im Willen'),

wenn die Toten wieder auferstehen,

wenn der lebende Überwinder des Todes kommt

und durch den Willen die Welt vorwärts gebracht wird'.

***