Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

B III. Abschnitt 3

Die Erweckung des Lazarus

3. Der Auferweckte. Maria Magdalena

(Joh.12)

Fische - Jungfrau


S353   Wenn es schon den Tatsachen entspricht, ein wahrhaftiger Schlüssel zu den Rätseln und Geheimnissen des Evangeliums ist, daß im Sterben des Siechen, des Lazarus das Werden des Johannes, die Auferstehung und Einweihung des Christusjüngers sich vollzieht, so könnte immer noch ein Bedenken erhoben und gefragt werden, warum dann im 12. Kapitel (V.1,2,9,10) der bereits Aufgeweckte noch immer Lazarus heißt. Tatsächlich ist nur noch in diesem Kapitel von Lazarus die Rede, später (Joh.13,23;19,26;20,2;21,10) immer nur von de "Jünger, den Jesus liebhatte" (was Joh. 11,3+5 auch von Lazarus gesagt wird). Das Rätsel ist eigentlich schon gelöst in dem (in manchen Textausgaben zu Unrecht unterdrückten) Zusatz im 1. Vers des 12. Kapitels: "Sechs Tage vor Ostern kam Jesus gen Bethanien, da Lazarus war, der Verstorbene, den Jesus auferweckt hatte von den Toten." Auch bei der Erweckung im 11. Kapitel (V.44) heißt es ebenso anschaulich als bedeutungsvoll: "Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Händen und Füßen, und sein Angesicht verhüllet mit einem Schweißtuch". Das Bild des eben vom Grabe Erstandenen, dem Grabe Entstiegenen - das will uns die Sprache des Evangeliums mit aller Deutlichkeit sagen - ist noch ganz und gar dasjenige des S354 Verstorbenen, des Siechen, des Lazarus. Die ganze Grabes-Atmosphäre ist da noch um ihn, wie ein lebendiger Leichnam steht er da zunächst noch vor uns, in eigenartiger Weise berührt sich noch in seiner ganzen Erscheinung die Wesenheit des Lebendigen mit dem Geheimnis des Leichnams. Etwas Saturnhaft-Totenähnliches ist dem neu erstehenden sonnenhaften Leben noch beigemischt (so wie sich auch in den rhythmischen Zeichen der Lazarus-Erweckung mit den Jupiter-Sonnen-Zeichen Schütze und Wassermann die Saturn-Zeichen Steinbock und Wassermann noch berühren). In gewissen künstlerischen Darstellungen (z.B. in der Zeichnung von Thylmann) kommt dieses noch immer Leichnamartige des eben Erweckten offenbarend zum Ausdruck. Auch nach der Erweckung trägt er noch immer geraume Zeit diese Grabesatmosphäre an sich, erscheint er, geistig gesehen, noch immer wie mit Grabtüchern gebunden, das Antlitz mit dem Schweißtuch verhüllt (so schon ausgesprochen ME283ff, vgl. dazu auch das Folgende, ME284 - Dort ist darauf hingewiesen, wie insbesondere das Rätsel des Jüngers, der den Tempel nicht mehr erkennt, im Eingang des 13. Markus-Kapitels in den Zusammenhängen jener Tatsache eine tiefe und bedeutsame Erklärung findet), darum ist auch im zwölften Johannes-Kapitel noch immer von "Lazarus" die Rede. Nur langsam, allmählich weicht dieses totenhafte Bild, dieser (geistige) Anblick des noch immer wie mit Grabestüchern Gebundenen dem Bilde des blühenden, des aus Grabestiefen in unverwelklicher Schönheit erblühten Lebens, das sich uns immer mit dem "Jünger, den der Herr liebhatte", dem "Jünger, der nicht stirbt" (Joh.21,23) verbindet. 

   Aus der Tinktur des Lichtes, aus den Samenkräften des Lichtes, die sich in den Liebesstrahlen des Christus in die Erdenfinsternis hineinsenkten und hineinopferten - dieses Opfer, dieses Hineinsterben in die Erde begann in der Verklärung, setzte sich fort im Mysterium von Bethanien, vollendete sich im Mysterium von Golgatha - war dieses neue unverwelkliche Leben erblüht. Christus selbst deutet im 12. Johannes-Kapitel auf das in den Vorgängen - nicht nur im Mysterium von Golgatha, sondern schon in demjenigen von Bethanien - S355 waltende Geheimnis mit dem Wort (V.24): "Wahrlich (Amen), ich sage euch (das Ich sagt euch): Es sei denn, daß das Samenkorn (Weizenkorn) in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wo e aber erstirbt, so bringet es viele Früchte." Und wie eine ernste Mahnung klingen die Worte des Christus vom Abschied des jetzt in die Erdenfinsternis sich hineinopfernden Lichtes (V.35): "Es ist das Licht nur noch kurze Zeit bei euch. Wandelt im Lichte, solange ihr es habt, auf daß euch die Finsternis nicht überfalle; und wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wohin er geht. Solange ihr das Licht habt, nehmet auf das Licht in euer Ich (Luther: "glaubet an das Licht"), auf daß ihr Kinder des Lichtes werdet." 

   Der V.28ff. angedeutete Verklärungs-Vorgang ist mit dem Mark.9 erzählten nicht identisch, aber wie dieser ein Symptom des immer mehr in die Erde hineinsterbenden, in die Erde sich hineinopfernden Weltenlichtes. Das Zeichen des mit dem Irdischen sich verbindenden, zum Irdischen herabsteigenden und sich herabneigenden Weltenlichtes sind im Evangelium immer die Fische. So steht dieses Zeichen der Fische über der Verklärungs-Episode des 12. Johannes-Kapitels, wie über der Verklärung des 9. Markus-Kapitels (man beachte besonders die Beziehung von Joh.12,28 zu Mark.9,7). Ebenso steht es über der Auferweckung des Lazarus, wie über der Auferstehung des Christus selbst (als einer neuen höheren Stufe seiner Verbindung mit der Erde).

   Und wie bei Christus selbst - man denke vor allem an die im Zeichen der Fische stehende "Fußwaschung" im 13. Kapitel - offenbart sich auch bei dem neu erstandenen Christusjünger im Zeichen der Fische die dienende Liebe, in der er fortan an der Erden-Tat des Christus aktiven Anteil nimmt, das Mysterium von Golgatha mitvollziehen hilft (ME289ff). Alles das findet seinen Ausdruck auch darin, wie jetzt die - die Bewußtseinsvorgänge des Christusjüngers immer spiegelnde - Schwesterseele, wie Maria Magdalena an dieser dienenden Liebe teilnimmt, wie sie, vom Kainsfluche der Menschheit befreit, die Liebestat der einstigen "Sünderin" (Luk.7,37ff) jetzt einer Priesterin gleich wie eine sakramentale Handlung, eine S356 Einleitung des Mysteriums von Golgatha selbst an Christus vollbringt (Joh.12,3). Das ganze Priesterliche im Johannes-Bewußtsein, sein ganzes durch die Einweihung jetzt neu geschaffenes Verhältnis zum Wirken des Mysteriums von Golgatha kommt darin mit zum Ausdruck. Ebenso im Verhalten der andern Jünger (das Johannes-Evangelium erwähnt hier nur den Judas) die Tatsache, wie sie in der Einweihung versagten.

   So verbindet sich, indem das zwölfte Johannes-Kapitel uns mit dem aus dem Grabe erstandenen Chrstusjünger zugleich hinschauen läßt auf die Schwesterseele, auf Maria Magdalena, mit den Fischen, dem Zeichen der Auferstehung und der dienenden Liebe, zugleich das Jungfrauen-Zeichen. Und wir erinnern uns daran, wie wir die Konstellation Fische - Jungfrau (oder Jungfrau - Fische) immer als die Abendmahls-Konstellation erkannten. Auch im Eingang des zwölften Johannes-Kapitels (V.2) ist ja von einem "Abendmahl", einer aus Anlaß des Geschehens von Bethanien dort veranstalteten esoterischen Abendmahlsfeier die Rede.

   Dem "Hineinsterben in die Erde" entspricht auch das äußere Sichzurückziehen des Christus von dem Menschen, seine äußere Abgeschlossenheit, die sich durch die Auswirkung der Tat von Bethanien noch verstärkt hat (Joh.11,47ff,54ff). Zwei Griechen, die ihn noch sprechen wollen, können darum ihr Ziel nicht erreichen (Joh.12,20f). Wir sehen den Christus Jesus hier anders sich verhalten, als den sterbenden Buddha, der noch unmittelbar vor seinem Hingang ins Nirvana einem von Buddhas eigenen Jüngern schon abgewiesenen fremden Jünger auf seine Bitte eine letzte Unterredung bewilligt (vgl. des Verfassers "Hingang des Vollendeten" S.119ff). Im "Erden-Geheimnis", das bei Christus eine ganz andere Rolle spielt, als bei Buddha, finden wir die Erklärung dieser Verschiedenheit. Vom Gesichtspunkte des Tierkreises darf darauf hingewiesen werden, wie auch in der Charakteristik dieses Zeichens Jungfrau dieses "Sichabschließen von der Außenwelt" liegt (vgl. dazu Rudolf Steiner "Der Mensch im Lichte von Philosophie, Theosophie, Okkultismus" GA137). Auch ist die Jungfrau vor allen andern das Zeichen des Erdengeheimnisses (vgl. Joh.12,24), das sich im Evangelium immer so S357 bedeutungsvoll mit dem Abendmahlsgeschen (Konstellation Jungfrau - Fische) verbindet.

   Über das Problem von Joh.12,12-16 (Einzug in Jerusalem) wurde schon in der Darstellung des Markus-Evangeliums das Nähere ausgeführt (ME255f). Auch dort ist der das Kapitel beherrschende Gesichtspunkt der "Abschließung von der Außenwelt" (Jungfrau) für die Beurteilung der Situation wesentlich (im Zusammenhalte mit Joh.11,54ff), und man wird das damals darüber Gesagte mindestens als Hypothese ins Auge fassen können.

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   In dem das zwölfte Johannes-Kapitel beherrschenden Geschehen des Sichhineinsenkens und Hineinopferns des Lichtes in die Finsternis, in seinen Abendmahlserlebnissen, seinen Vorgängen des Hinsterbens der Verklärung vollzieht sich, unmittelbar vor dem Mysterium von Golgatha, eine letzte Scheidung der Geister, eine letzte Krisis, ein letztes "Gericht" (wie Luther immer das Wort übersetzt), und an keiner andern Stelle im Johannes-Evangelium ist so ausdrücklich von dieser "Krisis" als einer "Scheidung der Geister" die Rede, V.31: "Jetzt geht das Gericht über die Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden." Zu allen andern Teilen des Johannes-Evangeliums, so wurde früher schon gesagt, haben die Lazarus-Kapitel (11+12) die innere Beziehung. Zunächst zu den fünf ersten "Mysterien-Kapiteln", zu denen wir sie (als die Vollendung des Mysteriums im Christlichen) in erster Linie stellen. Dann aber auch zu den fünf folgenden, den "Jünger-Kapiteln", denen sie als eine "Angelegenheit des Jüngerkreises" (im eminenten Sinne) sich zuordnen; zu den beiden Passions-Kapiteln (18+19), zu denen sie die hier ausführlich besprochene, schon in der Gemeinsamkeit der Tierkreiszeichen sich ausdrückende, starke inner Beziehung haben; zu den "Auferstehungs-Kapiteln" (20+21), deren Inhalt die "Auferweckung des Lazarus" natürlicherweise nahesteht (vgl. das große Ich-Motiv von Joh.11: "Ich bin die Auferstehung und das Leben"); S358 endlich aber auch, wie der Schluß des 12. Kapitels zeigt (V.31+37ff), zu den fünf "Kapiteln der Krisis" (6-10). Da vernehmen wir, nachdem im Vorangehenden die Sprache schon von jener zarten Innigkeit erfüllt war, die sich dann in den nunmehr folgenden Abschiedsreden zur leuchten Liebesoffenbarung des Christus steigert, noch einmal den ganzen Ernst der "Worte des Gerichtes", wie wir ihn aus dem früheren Abschnitt kennen, V.48: "Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht auf, der hat schon den, der ihn richtet; das Wort, welches Ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage."

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IV. Abendmahl und Abschied von den Jüngern

(Joh. 13-16)

Fische - Jungfrau


S359   Die schon im zwölften Johannes-Kapitel erreichte Abendmahls-Konstellation Fische - Jungfrau bleibt auch über den nunmehr folgenden, die Abschiedsreden Jesu enthaltenden "Jünger-Kapiteln" (13-16) offensichtlich stehen. Wie im Eingang des zwölften Kapitels die Abendmahls-Szene von Bethanien im Hause der Maria Magdalena - das Zeichen Fische ließ uns da zunächst auf den erweckten Lazarus, Jungfrau auf Maria Magdalena hinschauen - so steht über den folgenden "Jünger-Kapiteln" das große Christus-Abendmahl selbst. Diese ganzen Kapitel (13-16 bzw. 17) spielen sich auf dem Hintergrunde des großen Abendmahles, das der Christus vor seinem Hingang mit den Jüngern feiert, ab. Wenn die Einzelheiten dieses Abendmahles im Johannes-Evangelium auch nicht so, wie in den andern Evangelien (Matth.26,Mark.14,Luk.22), erzählt werden, so ist jener Abendmahls-Hintergrund der Kapitel 13-16 doch schon im Eingang des 13. Kapitels (V.2,4) deutlich genug ausgesprochen; am allerdeutlichsten ergibt er sich aus dem Zusammenhalte der beiden Stellen Joh. 13,23.25+21,20.

   Die Frage beim kosmischen Rhythmus könnte nur diejenige sein, ob dann nicht die Jungfrau, das eigentliche Abendmahls-Zeichen, als das primär betonte Zeichen zu erscheinen hätte (also Jungfrau - Fische statt Fische - Jungfrau), so wie auch über dem Abendmahls-S360-Eingang des 14. Markus-Kapitels das Zeichen Jungfrau in primärer Betonung angenommen wurde (ME288). In der andersartigen Darstellung des Johannes-Evangeliums erscheint aber tatsächlich das Zeichen Fische als das primär, Jungfrau als das sekundär betonte. Einmal darum, weil, wie bereits ausgesprochen, das Abendmahl als solches (Jungfrau) im Johannes-Evangelium nicht, wie im Markus-Evangelium, im Vordergrunde, sondern nur im Hintergrunde steht. Sodann darum, weil schon die Fußwaschungs-Szene im Eingang jener Kapitel (Joh.13,1-20) mit der positivsten Deutlichkeit auf das Zeichen der Fische als das hier in allererster Linie betonte hinweist (die "Fische" erscheinen an der Menschengestalt als die Füße, ME30). Und endlich, weil im Rhythmus des Johannes-Evangeliums die hellen, oberen Zeichen (und zu diesen gehört auch Jungfrau) überhaupt zurücktreten, und die untern dunklen (Skorpion - Schütze - Steinbock - Wassermann - Fische), die auch diejenigen der johanneischen Einweihung sind, überhaupt im Vordergrunde stehen, überall die primäre Betonung haben (nur über dem Eingang Joh.1 fanden wir als "Auftakt" die hellen Zeichen Stier und Widder, und die über Joh.6-10 stehende Wage bezeichnet schon den Übergang vom Hellen ins Dunkle, und hat dort überdies eine Mitbetonung vom dunklen Skorpion her). Es erscheint daher richtig, die über Joh.13-16 stehende Konstellation in der Form Fische - Jungfrau anzunehmen.

   Nach der die Menschheitszukunft nach dem Mysterium von Golgatha verbürgenden, auch für alles spätere Erdenwirken der übrigen Christusjünger die Voraussetzung schaffenden großen Erweckungstat von Bethanien wendet sich der Christus nunmehr mit seiner ganzen Liebe, mit einer in der ganzen Menschheitsgeschichte einzigartig dastehenden selbsthinopfernden Lieben zu denen zu, die ihm zunächst nicht folgen konnten (Joh.13,33.36), den andern Jüngern, die in der Initiation zunächst versagten, die von dem Einen, dem großen Christus-Jünger erreichte Bewußtseinsstufe zunächst nicht erreichen konnten. Konnte sich die Liebe des Christus an dem Einen, den er durch die Grabestiefe von Bethanien lebend hindurchführte, als die weckende Liebe, als unmittelbares S361 Leben und Bewußtsein weckende Macht offenbaren, so zeigt sie sich den andern gegenüber, die zu schwah waren, dem Christus bis dahin zu folgen, als die tragende und bewahrende Liebe. Durch diese Liebe des Christus werden sie durch ihre große Krisis, durch die große Bewußsteinsfinsternis, die jetzt über sie hereinbricht und in Gethsemane zur erschütternden Auswirkung kommt, hindurchgetragen bis zur Auferstehung und zum großen Bewußtseins-Erwachen im Pfingstfeste und so für ihre große künftige Erdenaufgabe, die sie jetzt noch nicht hätten erfüllen können, aufbewahrt. Deutlich sieht der Christus diesen tragischen Ausgang von Gethsemane, die Flucht der Jünger, die Verleugnung des Petrus voraus, und er spricht davon ganz ausdrücklich in den Abschiedsreden (Joh.13,38;16,32): dem Petrus sagt er, daß er ihn, Christus, verleugnen werde, den Jüngern, daß sie ihn alle verlassen werden. Keine Schwäche und Finsternis im Herzen der Jünger bleibt dem Christus verborgen, alle Tragik des Kommenden sieht er deutlich voraus und trägt sie voll im Bewußtsein. Gerade der Abschluß der Abschiedsreden (Joh.16,32) enthält auf alles dieses den deutlichsten Hinweis. Es ist die öfter erwähnte Stelle, wo das "skorpizein" (?, da in griechischen Buchstaben) des griechischen Urtextes (von skorpizein "zerstreuen", ind die Vereinzelung bringen), schon im Wortlaute auf die in der Bewußtseinsfinsternis der Jünger wirkende Skorpion-Todesmacht deutlich hinweist. Um so leuchtender erscheint die große Menschheits-Offenbarung der tragenden und bewahrenden Liebe (der die Seinen bewahrenden, die Schwächen der Seinen tragenden Liebe) des für die Seinen sich hinopfernden Christus. Noch vor der Hinopferung für das Ganze der Menschheit steht das Opfer für die (zur Weitergabe des Opfers an die Menschheit berufenen) Jünger.

   An dieser tragenden und bewahrenden Liebe des Christus nimmt der eine Jünger, dessen Schicksal den geheimnisvollen Hintergrund der beiden vorangegangenen Kapitel (Joh.11+12) bildet, einen aktiven (oder doch allmählich immer mehr nach dem Aktiven hin sich gestaltenden) Anteil. Schon die Eingangs-Szene des 12. Johannes-Kapitels (vgl.darüber das Kapitel dieser Schrift) S362 schien uns auf diese aktive Rolle und Aufgabe des Christusjüngers hinzuweisen (vgl. auch ME289ff). Auch in dem Bilde kommt sie zum Ausdruck, wie jener Eine beim Abendmahl als einziger an der Brust Jesu ruht (Joh.13,23.25;21,20): in diesem Bilde offenbart sich, wie er als Einziger die Kommunion mit Christus voll erlebt. Die später in der Apostelgeschichte, ja schon in der Auferstehung (Joh.20) und noch vorher, in den Golgatha-Ereignissen (vgl.Joh.18,15.16) sich offenbarende helfende, den Andern die Kräfte zustrahlende Rolle des Einen, des Johannes-Jüngers (wie wir ihn nennen wollen) bereitet schon da, in der großen Kommunion des Christus-Abendmahles sich vor.

   Ungeachtet dieses seines Zusammenhanges mit den beiden vorausgehenden Kapiteln (die wir im übrigen, als die Vollendung des christlichen Einweihungs-Mysteriums in sich schließend, den "Mysterien-Kapiteln" zurechnen) beginnt mit dem 13. Kapitel ein ganz neuer Abschnitt des Johannes-Evangeliums. Insofern das Schicksal und die Aufgabe der Jünger, des gesamten Jüngerkreises jetzt ganz im Mittelpunkte steht, betrachten wir diese vier Kapitel (denen sich in gewissem Sinne noch Joh.17 als fünftes anschließt) im eigentlichsten Sinne des Wortes als die Jünger-Kapitel. Nicht so unbedingt, wie für das Markus-Evangelium, bei dem wir von Anfang an den Gesichtspunkt der Jünger-Initiation und ihrer Schicksale in der Betrachtung festhalten konnten, steht für das Johannes-Evangelium, das in erster Linie Christus-Evangelium ist, das Jünger-Schicksal im Mittelpunkt. Vielmehr erscheint es beim Johannes-Evangelium so, daß das Jünger-Motiv, das im Markus-Evangelium wie eine Substanz über das Ganze hin ausgegossen ist, im Johannes-Evangelium in einem dafür ausgesonderten Abschnitt (cap.13-16) seine Ausprägung findet, daß es gleichsam den konzentrierten Inhalt dieser Kapitel bildet. Was die dramatischen Schicksale der Jünger nicht nur für diese selbst, sondern was sie für Christus bedeuten, tritt dort vor allem hervor.

   Damit ist nicht gesagt, daß nicht auch im Johannes-Evangelium schon früher an einzelnen Stellen des Jünger-Schicksals-Motiv anklingt. Schon das erste Kapitel weist ja mit aller S363 Deutlichkeit auf dieses Jüngerschicksal, auf die Tatsache des werdenden Jüngerkreises hin; im zweiten Kapitel (V.11+17) und in der Jordan-Episode des dritten Kapitels (V.22) werden sie erwähnt, im vierten Kapitel (V.27-38), in der Episode mit der Samariterin am Brunnen treten schon gewisse Verständnis-Schwierigkeiten der Jünger hervor, und im sechsten Kapitel fanden wir im "Seesturm" (V.16-21) schon ein Bild der beginnenden Jüngerkrises, auf die der Schluß dieses Kapitels (V.60ff) dann mit aller Deutlichkeit hinweist. Dieser Schluß des 6. Johannes-Kapitels berührt sich eng mit den Vorgängen im 8. Kapitel bei Markus (V.27-33, dazu ME189ff). Je mehr infolge ihrer Krisis die andern Jünger zurücktreten, desto mehr sehen wir dann das Geheimnis des Einen, der der Träger der Christus-Initiation wird, in den Vordergrund treten, sehen es, schon vor den Lazarus-Kapiteln, zunächst leise und wie von ferne an einzelnen Stellen in der Evangelien-Erzählung hindurchschimmern. Im achten Kapitel (Christus und die Ehebrecherin), im neunten Kapitel (Blindenheilung), im zehnten (Verkündigung des johanneischen Einweihungweges) offenbarten sich gewisse, auf das Johannes-Mysterium hindeutende Zusammenhänge. In welcher Weise dieses Mysterium dann die beiden Lazarus-Kapitel beherrscht, wurde ausführlich besprochen Damit ist dieses Thema zunächst erledigt, und wie Christus selbst, wendet sich auch der Johannes-Evangelist vom 13. Kapitel an mit ganzer Liebe den andern Jüngern zu. Der am weitesten vorangeschrittene Jünger, der mit seinem Namen und mit seiner Person im Johannes-Evangelium in tiefster Selbstentäußerung vollkommen zurücktritt, wendet sich jetzt mit um so größerer selbstloser Liebe dem Schicksal der andern zu, das er selber mitzutragen berufen ist, dem Schicksal derjenigen, denen dereinst seine eigenen helfenden Kräfte zuzustrahlen er als vornehmste Zukunftsaufgabe vor sich sieht.

   In der leuchtenden Liebes-Offenbarung der Jünger-Kapitel und Abschieds-Kapitel des Johannes-Evangelium (13-16) offenbart sich jene Kraft und Geistigkeit, die wir als eine unmittelbar aus dem Sterben des Christus (das hier ja in einer gewissen Weise schon begonnen hat) erfließende anzusehen S364 haben, jene Kraft, die im Evangelium selbst (Joh.7,39;12,16;20,22) als diejenige des heiligen Geistes bezeichnet wird, dieselbe Kraft, die später im Pfingstereignis (Apostelgesch.2) zum Höhepunkte ihrer Offenbarung kommt. In dem ganzen Leuchtend-Liebevollen, das schon in der Sprache von Joh.13-16 sich offenbart und im 17. Kapitel seine Höhe erreicht, offenbart sich diese vom sterbenden Christus schon hier spürbar ausgehende Kraft des heiligen Geistes. In einem noch anderen, noch intimeren Sinne, als dieses natürlich für das ganze Johannes-Evangelium, für alle Evangelien überhaupt der Fall ist, sind die Abschieds-Kapitel mit der sie krönenden "großen Fürbitte" des 17. Kapitels eine unmittelbare Inspiration und Offenbarung des heiligen Geistes. Wie eine Substanz leuchtet und fließt dieser "heilige Geist" in diesen Abschiedsreden, in der ganzen in ihnen enthaltenen Liebesoffenbarung des Christus. Die ganze Sprache des Johannes-Evangeliums gewinnt in dieser Liebesoffenbarung eine Leuchtekraft, die als etwas Einmaliges in aller Menschheits-Literatur empfunden werden kann. Im 17. Kapitel, in der großen Fürbitte des "hohepriesterlichen Gebets" hat auch diese Leuchtekraft der Sprache ihren Höhepunkt.

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   Mit der "Fußwaschung" im Eingang des 13. Kapitels beginnt der eigentliche esoterische Teil des Johannes-Evangeliums. Ein ganz unmittelbares Todes-Erleben, ein Erleben des sich dem Tode und den Erdentiefen vermählenden Christus ist über dieses ganze Kapitel (wie über den folgenden) ausgegossen. Die (schon vom 10.Kapitel

an zu bemerkende) zunehmende Zartheit und Innigkeit der Sprache kommt darin zu der charakteristischen Leuchtekraft.

   Die Situation dieser Kapitel, vor allem des dreizehnten, ist genau diejenige, die Lionardo da Vinci in seinem irdisch verfallenden, geistig unvergänglichen großen Abendmahlsbilde vor uns hingestellt hat. Rudolf Steiner hat es einmal (im Zyklus "Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen" GA132) ausgesprochen, S365 daß ein Bewohner eines anderen Planeten, etwa ein von den Erdenverhältnissen nicht wissender Marsbewohner, wenn er plötzlich auf die Erde und vor dieses Bild gestellt würde, in ihm den Sinn der ganzen Erden-Entwickelung erfahren würde. Wie im schicksaltragenden Augenblick der großen Zeitenwende alle Geheimnisse der Vergangenheit und Zukunft aufleuchten, wie fernste Urvergangenheit hinüberwirkt in fernste Menschheitszukunft, das alles, sagt Rudolf Steiner, sei an jenem Bilde zu erleben. Im Abendmahlsgeschehen (Fische - Jungfrau) offenbart sich die in das Werden von Erde und Menschheit sich hineinopfernde göttliche Liebe.

Da Vinci - Abendmahl

Da Vinci - Abendmahl (wikipedia)

   Im Mittelpunkte der ganzen Dramatik der Abendmahls-Szene steht der kritische Augenblick, wo der Christus den Bissen in die Schüssel taucht und dem Verräter darreicht (Joh.13,26). Rudolf Steiner läßt uns a.a.O. erkennen, wie das Geheimnis des "Ursprungs des Bösen" darin seinen Ausdruck findet, die ganze Art, wie in Welten-Urbeginnen die guten, die den Fortschritt wollenden göttlichen Mächte sich selbst die Widersacher aufrufen, wie dieser (das Wesen des "Bösen" offenbarende) Widerstand von der göttlichen Liebe mit in ihre Ziele aufgenommen wird, von jener göttlichen Vorsehung, die das Geschöpf zur Freiheit, und aus der Freiheit heraus zur Liebe führen will. Zum Schwersten, so ahnen wir, was in jenen ganzen dramatischen Vorgängen des Abendmahles der Christus auf sich nimmt, gehört die Art, wie er die finstere Tat des Verräters in sein eigenes göttliches Bewußtsein aufnimmt, wie er diese finstere Tat selber wollen muß, weil ohne sie das große, zum Heile und zum Fortschritt von Erde und Menschheit zu wirkende Mysterium nicht vollbracht werden konnte. Erst das Johannes-Evangelium läßt uns ahnen, was die Judastat für Christus selber bedeutet. Das findet in der großen Fürbitte des "hohepriesterlichen Gebets" seinen ergreifendsten Ausdruck (Joh.17,12). Wo für die andern Jünger nur der Durchgang durch eine schwere Krisis, steht für Judas das Zerbrechen der ganzen Inkarnation in Frage (Joh.17,12), und erst ein Hinschauen auf die Zusammenhänge wiederholter Erdenleben würde hier die Möglichkeit einer Lösung der Tragik, eines versöhnenden Ausblicks eröffnen. S366

   Man hat die Jünger-Kapitel, die "Abschiedreden Jesu" (Joh.13-16) doch nur halb verstanden, wenn man nur die leuchtende Liebeskraft und Liebesoffenbarung ihrer Sprache erkennt, wenn man nicht zugleich sieht, wie diese Kapitel voll dramatischen Geschehens, voll dramatischer Spannung sind, wie der Christus hier nicht nur den Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus (Joh.13,38), die Jüngerflucht von Gethsemane (Joh.16,32), sondern die Schwäche jedes einzelnen der Jünger in sein Bewußtsein aufnimmt - wie das an bestimmten Einzelfällen in diesem Evangelien-Abschnitt dann zur Durchführung gebracht wird, wo bald dieser, bald jener Jünger mit seinen Einwänden, seinen Verständnisschwierigkeiten sich an Christus wendet. Wer hier nur die anscheinende Unterbrechung der leuchtenden Liebesoffenbarung im Wortestrom des Christus bedauert, sieht nicht, wie es hier dem Christus gerade darauf ankommt, alle Schwierigkeiten der Jünger aus ihren verborgenen Untergründen emporzulocken und am Bewußtsein der Jünger etwas zurechtzubringen, zurechtzurücken. Die "Abschiedsreden Jesu" sind nicht bloße "Reden", sondern Taten, sind voll von Christus-Magie.

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   Das über der Fußwaschungs-Szene im Eingang des 13. Johannes-Kapitels, wie über dem ganzen Evangelien-Abschnitt so deutlich, so geistig offensichtlich stehende Fische-Zeichen offenbart sich dort in seinem allerhöchsten Weltensinn. Als Zeichen des zum Irdischen ganz tief sich herabneigenden Göttlichen, als Zeichen der dienenden, der sich selbst hinopfernden Liebe wird es nirgendwo so, wie in dieser von Christus an den Jüngern vollzogenen Fußwaschung offenbar. Wir finden den dichterischen Ausdruck für alles dieses am schönsten bei Christian Morgenstern, und zwar nicht nur in seinem sehr bekannten Gedichte "Die Fußwaschung" (wo er, in Anlehnung an das von Rudolf Steiner im Zyklus "Johannes-Evangelium" (GA103) Gegebene, mehr das Kosmisch-Symbolische der Fußwaschung beleuchtet), sondern vor allem in der S367

Schlußstrophe des Gedichtes "Faß es, was sich dir enthüllt" (in "Wir fanden einen Pfad" S61):

Faßt ein Herz des Opfers Größe?

Mißt ein Geist dies Opfer ganz? -

Wie ein Gott des Himmels Glanz

tauscht um Menschennot und -blöße!

Der innerste geistige, der göttliche Sinn und Evangelien-Sinn des Fische-Zeichens ist in diesen Worten am allertreffendsten ausgesprochen.

   Alles, was von der Fußwaschung im 13. Kapitel an im Johannes-Evangelium erzählt wird, hat - wie letzten Endes natürlich auch das ganze Johannes-Evangelium, insofern es als Meditations-Inhalt von umfassend-überragender Bedeutung genommen wird - neben dem unmittelbar geschichtlichen auch einen esoterischen Sinn. Als Bild eines bestimmten Erlebnisses auf dem Wege der christlichen Einweihung wurde die Fußwaschung (wie nah ihr im weiteren Verlauf des Einweihungsweges die Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung, Kreuzigung, Grablegung, Auferstehung) in der christlichen Esoterik früherer Zeiten immer genommen. Wie der Mensch mit den Füßen die Erde tritt, nimmt er in der "Fußwaschung" das Irdische und das Sichhinopfern ans Irdische ganz unmittelbar in seinen Tat-Willen auf, so wie der Christus das von ihm in der Fußwaschung an den Jüngern Vollzogene ihnen ganz unmittelbar als ein für seine geistige Nachfolge entscheidendes Vorbild hinstellt (Joh.13,14.15). Das Erdengeheimnis der Fußwaschung im Zeichen der Fische ist zugleich das Geheimnis der christlichen Willens-Einweihung. Darum erscheinen die Fische bedeutungsvoll auch über jener "Speisung der Fünftausend" als ein Hinweis auf die christliche Willens-Einweihung der Menschheitszukunft.

   Schauen wir vom Gesichtspunkte des kosmischen Tierkreises noch hin auf den planetarischen, so finden wir neben der Jupiter-Offenbarung des Fische-Zeichens - das Geistige der "alten Sonne", des Ur-Sonnen-Seins, in Christus S368 sich hinopfernd ans Irdische - in den Fischen im Sinne alter Überlieferung und Sternenweisheit neben der dominierenden Jupiterstellung (die hier auf das geistige Königtum des Christus hindeutet) noch eine besondere "Erhöhung" (d.h. einflußreiche, wenn auch nicht dominierende Stellung) der Venus, der himmlischen Liebe, Venus Urania, die in der Wage, im Zeichen des Christus-Ich-Bin herrscht, und hier in den Fischen vor allem als dienende Liebe, als tiefes Sichherabneigen des Göttlichen zum Irdischen sich offenbart.

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   Auf das innerste Wesen der tragenden und bewahrenden Liebe des Christus deuten schon die ersten Worte im Eingang des 13. Kapitels: "wie er geliebt hatte die Seinen, so liebte er sie bis ans Ende". Es ist diese Liebe nicht wie die menschliche Liebe, die so leicht immer wieder schwach wird oder abreißt, Enttäuschungen erlebt oder bereitet, sondern sie geht wirklich bis ans Ende, (griechischer Wortlaut), bis zur "Weihe-Vollendung", wie man das Wort in der Mysteriensprache immer genommen hat. Diejenigen, die selbst in ihrer Liebe doch immer wieder schwach und wankend wurden, dem göttlichen Erleben nicht bis zum Ende, bis zur Weihe-Vollendung standhalten konnten, trägt der Christus durch ihre Bewußtseinsschwäche, ihren Bewußtseinsschlaf, ihre Bewußtseinsfinsternis, ihre Einweihungs-Krisis hindurch bis zur Stunde des großen Wiedersehens. Neben aller Trauer, aller Bangigkeit, aller Todesempfindung durchdringt diese Stimmung und Hoffnung des Wiedersehens (Joh.16,22) in entscheidender Weise die Abschieds-Kapitel des Johannes-Evangeliums. Eine Meisterschaft in der ganzen Darstellung des Johannes-Evangeliums offenbart sich gerade darin, wie es mit dieser ganzen Zartheit und Innigkeit, dieser ganzen leuchtenden Liebesoffenbarung des Christus doch zugleich den kritischen Ernst des Abendmahls-Erlebens verbindet und stark betont. Daß die Jünger diese Fülle der göttlichen Liebe zunächst einfach nicht ertragen können, daß sie an der Kommunion dieser Liebe im Abendmahl wie zerbrechen, S369 auch dieses Motiv klingt immer wieder mit Deutlichkeit hindurch. Eine der erschütterndsten Stellen ist diejenige, wo Christus die mahnenden Worte "wo ich hingehe, könnt ihr (zunächst) nicht hinkommen" (13,33) hinzufügt, das andere "wie ich zu den Juden sagte". Er muß da selber die Seinen erinnern an jenes furchtbare, in der Auseinandersetzung mit den Juden, als die "Krisis" zu ihrer Höhe gekommen war, gesprochene Wort (8,21): "Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen." Nur durch seinen Opfertod, durch die ganze schon in den "Abschiedsreden" wirkende Magie der Selbsthinopferung kann er bewirken, daß der Ausgang der Krisis für die Jünger ein anderer, hoffnungsvollerer wird. In bedeutsamer Weise zeigt er denen, die sich der göttlichen Liebe noch nicht voll aufzuschließen vermochten, einen Weg, wie sie nun ganz aus dem Menschlichen heraus, vom einen zum andern diese Liebe entwickelnd, zu jener göttlichen Liebe emporwachsen können (13,34: "Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet, wie ich euch geliebt habe"). Die Liebe, die zwischen den dem Christus Verbundenen oder verbunden sein Wollenden waltet, ist der Prüfstein, wie weit das Wachstum des Göttlichen im Herzen gediehen ist.

   Das Ich-Auslöschende der Bewußtseins-Krisis der Jünger offenbart sich am erschütterndsten an jenem dramatischen Höhepunkte, wo sie, als Christus den Bissen in die Schüssel taucht, hilfesuchend ihre Blicke nach dem wenden, der "an der Brust des Herrn ruht". In ihnen allen lebt die bange Frage, die, in Joh. 13,22 nur leise angedeutet, bei Matthäus (26,22) und Markus (14,19) ihren Ausdruck findet in den Worten "Herr, bin ich's?" (wobei das griechische (---) bei Matthäus als die unmittelbare Verneinung des (---) "ich bin" erscheint). Zwischen "ich bin" (- oder bin ich vielleicht nicht)?" Und bis ins Äußerlich-Szenische, Bildhafte hinein malen mit wirksamster Dramatik die (beim Hinausgehen des Judas erscheinenden) Worte "und es war Nacht" die Bewußtseins-Finsternis. Zugleich S370 läßt die Episode die für das Johannes-Evangelium oft so charakteristische voll-lebendige Schilderung des äußeren Geschehens (z.B.V.28,29) bis in die konkretesten Einzelheiten erkennen.

   Mit der Judas-Krise verbindet sich auch hier diejenige des Petrus. Erschütternd folgt hier dem Temperamentvoll-Feurigen, dem Übermaß von Wärme und glutvoller Hingabe am Anfang (Joh.13,6ff) der Hinweis des Christus auf das Erlöschen dieses Feuers in der Bewußtseinsnacht (13,39). Wir die Andeutung der Judas-Krisis die starre Benommenheit im Herzen der Jünger, löst die Andeutung der Petrus-Krisis das Erschrecken aus, von dem der Anfang des 14. Kapitels spricht. Und so offenbaren sich der Reihe nach alle möglichen individuellen Krisen und Bewußtseinsschwierigkeiten der einzelnen Jünger. Für die im Evangelium vielfach noch dunkel gelassene Charakteristik der einzelnen Jünger liefern die Kapitel 13 bis 16 des Johannes-Evangeliums einen wertvollen Beitrag.

   So sehen wir zuerst (Joh.15,4), wie Thomas den Weg, den er vor ihm den Freund, den "Jünger, den der Herr liebhatte", hat gehen sehen, den Weg, zu dem die ganze Sehnsucht seines Herzens ihn hinzog (Joh.11,6); den Weg des Ich (Joh.10,9), das die Wahrheit und das das Leben ist (Joh.14,6), den Weg, der als Erkenntnisweg beginnt und als Weg des Lebens endigt, selbst noch nicht finden, wie er ihn mit dem geistigen Auge noch nicht sehen kann. Der Verstandeszweifel, von dem er dann durch den Auferstandenen geheilt wird (Joh.20,27.28), trübt ihm noch den geistigen Blick. - Ähnlich offenbaren sich dann die Schwierigkeiten des Philippus, der, entstammend einer (mit den Geheimnissen des "Ostjordanlandes" verbundenen) Sphäre alten Hellsehens, immer den Vater im Übersinnlichen schauen möchte, und in der in Christus vor ihm stehenden geistig-physischen Realität ihn nicht erkennen kann (Joh.14,8.9), und des "anderen Judas" (14,22), der nicht begreifen kann, warum der Christus unmittelbar nur denen sich offenbaren kann, die ihm das Gefäß der Liebe darbieten, in voller hingebender Liebe dem Göttlichen sich aufschließen können.

   Am dunkelsten bleibt den Jüngern noch alles, was in diesen "Abschiedsreden" der Christus über seinen Hingang S371 zum Vater spricht. In seinen Mitteilungen zum Johannes-Evangelium hat Rudolf Steiner die große Erkenntnis ausgesprochen, wie Christus hier vom Geheimnis des Todes, von dem hinter dem Todesgeheimnis verborgenen Geheimnis des Vaters spricht, wie er den Tod hier als den "immer lebendigen Vater" hinstellt, den "Samen des Lebens", der dem Irdischen einverleibt werden mußte, damit es nicht ganz aus dem Leben herausfalle, damit es wieder heraufgenommen werden könne in das Leben. Die wahre Gestalt des Todes - sagt uns Rudolf Steiner - stellt Christus vor die Menschen hin: was den Menschen als Tod sich verschleiert, enthüllt er als die Realität des immer lebendigen Vaters. "Dadurch allein konnte der göttliche Vater-Geist die Erinnerung an den göttlichen Ursprung retten, daß er allem, was in die Materie strebt, die Wohltat des Todes mitgab." Im Vatergeheimnis enthüllt der Christus den wahren Namen des Todes. Hier liegt, wie die Initiationsgeschichte des Markus-Evangeliums zeigt, zugleich der entscheidende Punkt bei aller Belehrung der Jünger, bei aller Jünger-Initiation. Das Geheimnis des Todes, des Todes Christi, des Mysteriums von Golgatha sollten sie fassen, und hier gerade erweist sich ihr Verständnis immer als schwach, als unzulänglich (Mark.8,32; ME181ff,189ff,199ff). Nur einer, so sahen wir, vermag, von Elias-Johannes-Kraft überschattet, in der "Verklärung Christi auf dem Berge" den Sinn des Todes zu fassen, der Erkenner des Mysteriums von Golgatha zu werden (ME197), während der mit ihm auf dem Berge weilende, die Verklärung Schauende auch da, geblendet von der Sonnenherrlichkeit des Christus, das große Geheimnis noch nicht fassen kann (Mark.9,5). Auch die in der "Erweckung des Lazarus" so überwältigend von Christus hingestellte Offenbarung der Todesgeheimnisse begreifen die Jünger nicht.

   Das alles sehen wir noch hereinwirken in die Abschieds-Kapitel des Johannes-Evangeliums. Wohl ahnen die Jünger, daß Christus mit dem Hingang zum Vater von seinem bevorstehenden Todesgang spricht, aber nur als dumpfer Druck, als Todesbangigkeit legt sich das alles auf ihre Herzen, das im Tode verborgene Geheimnis des Lebens vermögen sie noch nicht S372 zu fassen, Joh. 16,6: "Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fraget mich: Wo gehest du hin? Sondern weil ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden."

   Doch über allen Bangigkeiten, allen Verständnisschwierigkeiten der Jünger leuchten die großen, tröstenden und verheißenden Christus-Worte vom Weg und vom Weinstock des Ich: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh.14,6): das Ich ist der Weg, auf dem die Erkenntnis wieder zum Leben wird, wo Baum der Erkenntnis und Baum des Lebens sich wieder finden; und "Ich bin der Weinstock des Wahrhaftigen", des in Wahrheit Bestehenden (Joh.15,1), (griechischer Wortlaut): der Weinstock des Ich ist das, was nicht auszulöschen (aletheia) ist, die Kraft des im Ewigen verankerten, des nie versiegenden, des nie verlöschenden Bewußtseins. (Im Worte aletheia, alethinos des griechischen Urtextes, so zeigten wir schon früher, liegt dieser Sinn.) Das innerste Geheimnis des Ich ist damit ausgesprochen.

   Und immer näher führt in letzter Stunde der Christus die Seinen noch an das große Welten-Vater-Geheimnis heran, er zeigt den Jüngern, wie die Christuskraft des Ich sich dadurch noch verstärken muß, daß er jetzt mit dem den Erdentiefen eingesenkten, einwohnenden Todes-Vater-Geheimnis sich vermählt (Joh.14,12;14,28), und wie eben infolge dieses seines Hingehens zum Vater, seines Sichvermählens mit den Todestiefen der Erde aus den Sphären des Weltenlichtes die Offenbarung des heiligen Geistes erfließen, wie der Geist da als Tröster und Fürsprecher zu ihnen kommen kann (16,7). Nicht als etwas nur einfach in sich Ruhendes, sondern als große Welten-Dynamik leuchtet das Geheimnis der Trinität - Christus zwischen Vater und Geist - in diesen Abschnitten auf. Es ist der heilige Geist, der die Welt zum Bewußtsein bringt (griechischer Wortlaut 16,8, von elenchein, was Luther mit "strafen" übersetzt. Dabei ist wichtig, zu bedenken, daß der ursprüngliche und allein vor der geistigen Welt zu rechtfertigende Sinn alles "Strafens" ein "Zum-Bewußtsein-Bringen" ist.): S373 in diesem Zum-Bewußtsein-bringen vollendet sich alle Krisis, alles "Gericht". Dann, so will Christus den Seinigen sagen, wird auch euch das volle Bewußtsein erwachen. Jetzt aber sied ihr noch im Bewußtseinsschlaf: "Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht tragen" (Joh.16,129:

   Zum "Abendmahls-Geschehen" gehört durchaus ein solches "Zum-Bewußtsein-bringen", ein solches Zurechtbringen des Bewußtseins. Zwischen der Abendmahls-Erzählung der drei andern Evangelien und den Abschieds-Kapiteln (13-16) des Johannes-Evangeliums besteht eine exakte höhere Synopsis und Synthese: während dort mehr der äußere Hergang des Abendmahls erzählt wird, beleuchtet das Johannes-Evangelium die inneren Vorgänge, die innere Seite des Geschehens. Dies ist auch der Sinn, wenn der kosmische Rhythmus über den Abschieds-Kapiteln des Johannes-Evangeliums die Abendmahls-Konstellation (Fische - Jungfrau) erkennen läßt.

   Es ist diese ganze Abendmahlsfeier des Christus mit den Seinen eine Welten-Abschieds-Stunde von weltgeschichtlich einmaligem Ernst und weltgeschichtlich einmaliger Größe: der Christus muß die ihm in Liebe Verbundenen, die er noch vom Bewußtseinsschlafe umfangen sieht, und für die Durchführung seines Erdenwerkes doch notwendig braucht, scheinbar einsam im Irdischen zurücklassen. Und dennoch weiß er, daß er sie durch alle Bewußtseinsnacht hindurchführen wird, dennoch leuchtet über aller herzbrechenden Bangigkeit des großen Abschieds die Freude und die Zuversicht des ewigen Wiedersehens: "Und ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen" (16,22). Erleben wir bei Buddhas Hingang nur den Ernst und die Trauer des großen Abschieds (Siehe des Verfasser Schrift "Der Hingang des Vollendeten" - Stuttgart, Verlag der Christengemeinschaft, S 126), so steht hier im Johannes-Evangelium über allem Ernst des Abschieds das Wiedersehen in der Auferstehung. Das verbindet diese Abschieds-Kapitel (Joh.13-16), dazu noch 17) mit den zwei Auferstehungs-Kapiteln (20+21), die ebenfalls "Jünger-Kapitel" sind, innerlich zur Siebenheit (vgl. Teil A cap.4+6). S374

   In diesem Lichte der Auferstehung und des ewigen Wiedersehens lassen die Abschiedsreden des Christus über den Sternengeheimnissen der Vater-Welt (Joh.14,2; dazu Teil F cap.7) alle Geheimnisse des ewigen Namens und der Bitte im ewigen Namen, der ewigen Bitte ich Ich vor uns aufleuchten (Joh.14,13ff;15,7;16,23ff;dazu Mark. 11,23ff+ ME275). An die innerste Vollmacht des Ich, an die innere Allmacht und Magie im Ich, die aber nur im vollen Einklang mit der Weltenharmonie des ewigen Namens ausgeübt werden kann, erinnert wie an etwas noch im Schoße der Zukunft für sie Aufbewahrtes mit den letzten Worten, die er noch an sie richten kann, der Christus die Seinen. So führt er sie zuletzt noch zu einer ahnenden Erkenntnis des Vater-Geheimnisses (Joh.16,29-31), die als eine vor der geistigen Welt zurecht bestehende Tatsache dann auch von Christus in die große Fürbitte des "hohepriesterlichen Gebets" eingeschlossen wird (Joh.17,8). Mit der Kraft dieser Fürbitte wird er sie nun durch ihre Krisis hindurchtragen, ihr ganzes Sein und Wirken in der Zukunft ihnen verbürgen.

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V. Die große Fürbitte

(Joh.17)

Jungfrau


S375   In der großen Fürbitte des "hohepriesterlichen Gebets", wie man das Christus-Gebet zum Vatergott, die große Zwiesprache des Sohnes mit dem Vater im 17. Johannes-Kapitel nicht ohne Sinn immer genannt hat, finden nach den Abschiedsreden Christi die Jünger-Kapitel des Johannes-Evangeliums ihren krönenden Abschluß. Der "esoterische Abschnitt" des Evangeliums kommt da zu seinem eigentlichen Höhepunkt, von dem aus sich Ströme von Licht und Wärme nach allen Weltgebieten, Zeiten und Räumen zu ergießen scheinen. Mit dem großen Motiv des Ich, das die Welt überwunden hat, sahen wir die Abschiedsreden schließen (16,33). Im 17. Johannes-Kapitel sehen wir - oder hören wir, denn immer mehr etwas Symphonisch-Weltenmusikalisches, etwas mit innerem Gehör zu Erlauschendes wird uns das Johannes-Evangelium - wie dieses große Christus-Ich, das die Welt überwunden hat, die Fürbitte einlegt für die in der Welt Zurückgebliebenen, die ihm in Liebe verbundenen Seinen, für alle Menschen, die in der dem göttlichen Ich sich öffnenden Liebe den Weg zu ihm, den Weg zum Ich finden sollen und können (Joh.17,20). Was Christus den Jüngern als letztes erhabenes  Vermächtnis noch anvertrauen, was er ihnen noch sagen konnte vom Geheimnis der Macht des Gebets, von der Vollmacht der Bitte im Ich (Joh.16,23ff), das bewahrheitet und erfüllt er jetzt selbst S376 in weltgeschichtlich einmaliger Größe, in jener von allen Geheimnissen des ewigen Namens überleuchteten, wie vom Mittelpunkte des Weltgeschehens in alle Weltenzukunft hineinleuchtenden großen Fürbitte, durch die wir uns, wie in keinem andern Abschnitt des Johannes-Evangeliums unmittelbar wie in Weltenhöhen gehoben und entrückt fühlen. Die wachsende Leuchtekraft im Worte des Christus, die wir schon im vorausgehenden erleben konnten, hat hier zu einem wahren Welten-Sternen-Leuchten sich erhoben, das über alle Worte des Christus sich ergießt. Welten-Sternen-Tiefen und Welten-Sternen-Geheimnisse leuchten und tönen auf, in die nur der initiierte, der durch die Johannes-Einweihung gegangene Christusjünger hineinzuschauen und hineinzulauschen vermochte. Offenbarung des heiligen Geistes, wie sie aus dem Hinsterben des Christus erfließt, erreicht da die Höhe ihrer Leuchtekraft. Es ist, als ob vor dem Sichvermählen des Christus mit den dunklen Erdentiefen im Mysterium von Golgatha alle Sternengeheimnisse der Weltenhöhen in den Worten der großen Fürbitte aufleuchteten.

   So empfinden wir, hinschauend auf den kosmischen Rhythmus des himmlischen Tierkreises, über diesem siebzehnten Johannes-Kapitel diejenige Wesenheit, die selbst die Walterin der Welten-Sternen-Geheimnisse, der großen kosmischen Wegzehrung, die Wesenheit der großen kosmischen Fürbitte ist, die himmlische Jungfrau, die als die Trägerin und Spenderin des Welten-Sternen-Brotes (ME104ff) mit den Fischen zusammen die Abendmahls-Konstellation bildet. Diese Abendmahls-Konstellation, wir schauten sie ja schon über den vorangegangenen Kapiteln des großen Abschieds (Joh.13-16), die mit der großen Fürbitte (Joh.17) zusammen die Fünfheit der Jünger-Kapitel darstellen. Die Fische erlebten wir da besonders stark als das Zeichen des Sichherabneigens des Christus zur Erde, der dienenden Liebe. Dem folgt, vor dem endgültigen Sichvermählen des Christus mit den Todes-Tiefen der Erde, im "hohepriesterlichen Gebet" die große Erhebung zu Welten-Sternen-Höhen. Da ist alles Fülle des Welten-LichtesS377 da werden wir das Einzigartige dieses in seiner blendenden Lichtfülle von allen andern Abschnitten des Johannes-Evangeliums sich heraussondernden 17. Kapitels am treffendsten charakterisieren, wenn wir empfinden, wie von den beiden Zeichen der "Abendmahls-Konstellation" das eine dunkle, das Zeichen Fische hier zurücktritt, wie allein das Sternenlicht der himmlischen Jungfrau, der Wesenheit der kosmischen Fürbitte über diesem Kapitel der großen Fürbitte leuchtet. Es erscheint innerlich sinnvoll, wenn wir, entgegen dem Vorherrschen der untern, dunklen Tierkreiszeichen in allen übrigen Kapiteln des Johannes-Evangeliums, dieses eine, lichterfüllteste aller Kapitel als nur von einem der oberen, lichten Himmelszeichen beherrscht empfinden.

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   Nur dann wird der Sinn dieser "kosmischen Fürbitte" richtig verstanden, wenn gesehen wird, wie auch hier der Christus die Seinen durch das Bewußtsein zur Freiheit, zum freien Ergreifen des Göttlichen führen will. In jener Freude (griechisch), von der der Christus will, daß sie auch in den Seinigen sich erfülle (Joh.17,13,vgl.16,24), in dieser Freude im Ich liegt zugleich, wenn wir die Nuance des Griechischen richtig erfassen, die Freiheit, das Empfinden des freien Raume. Auch durch die Christus-Fürbitte wird den Menschen nicht etwas im Schlafe geschenkt, sondern die Kraft wird ihnen zugestrahlt, die sie zum Erwachen aus dem Geistesschlaf führt, so daß sie dann in der inneren Freiheit des wachen Bewußtseins das ihnen sich darbietende Ich, wenn sie es ergreifen wollen, auch ergreifen können. Daß der hier von Christus gemeinte, durch die Kraft der Fürbitte den Seinen sich eröffnende Weg zur Freiheit und zum Leben ein durch die Erkenntnis führender ist, spricht deutlich das Wort der großen Fürbitte (Joh.17,3): "Das aber ist das Leben der Ewigkeiten (der "künftigen Zeitenkreise"), daß sie Dich (Vater) als das in der All-Einheit des nie verlöschenden Bewußtseins ruhende Göttliche und den (aus Deiner Sternen-Strahlung) entsandten heilenden (Heiland) Jesus als den Christus erkennen". So ist die große S378 Fürbitte des Christus eine Bitte im Ich, vom Ich und zum Ich.

   Wenn wir in meditativer Hingabe dem Ganzen bis hierher gefolgt sind, können wir erfühlen, wie sehr die große Fürbitte der esoterische Mittelpunkt, das Herz des ganzen Johannes-Evangeliums ist. Etwas Erlösendes und Befreiendes teilt sich von hier aus auch unserem Herzen mit, eine Beklemmung, die vorher gerade bei der hier gemeinten inneren Hingabe an den Evangelien-Inhalt uns beschlichen haben kann, wieder von uns nehmend. Denn etwas Niederdrückendes läge darin, wenn wir, bei aller Hingabe an das Johannes-Evangelium, uns sagen müßten: "Ja, etwas Großes und Gewaltiges, etwas Einzigartiges, in Menschheitszukunft Weisendes ist diese Christus-Botschaft vom Ich, wie sie sich hier in diesem Evangelium von Kapitel zu Kapitel zu immer höherer Offenbarung steigert und verklärt. Ein neuer Lebenswein (Joh.2), eine neue Gesundheit (Joh.3), ein Strom lebendigen Wassers (Joh.4+7) will diesem Ich entfließen, eine neue Geburt will sich aus ihm vollziehen (Joh.3), Kräfte des Sternen-Lebensbrotes wollen sich aus ihm uns schenken (Joh.6), zu einer neuen Jungfräulichkeit, zur inneren Freiheit will es uns erheben (Joh.8), das Auge eines neuen Schauens will es uns eröffnen (Joh.), der Weg des Lebens und der Menschheitszukunft leuchtet auf im Ich (Joh.10), die Grabespforte selbst vermag seine Kraft zu sprengen (Joh.11), die Auferstehung und das Leben ist in ihm beschlossen (Joh.12), das selbst die Kraft des nie verlöschenden, im Ewigen verankerten Bewußtseins ist (Joh.15). Groß und gewaltig, tief und wahrhaftig ist die Macht des Ich. Wenn wir nun aber gerade durch das Johannes-Evangelium erfahren müssen, wie dieses Ich die Menschen doch immer nicht fassen können, weil sie sich dem göttlichen Urbild zu sehr entfremdet haben, wie sie es hassen, wie sie den Stein nach ihm erheben, wie die göttliche Botschaft vom Ich nur den wirren Zwiespalt, den wilden Konflikt im Herzen aufrührt, wie sie scheidend und richtend, die Krisis heraufbeschwörend, auf sie wirkt; wenn wir zuletzt vernehmen, wie selbst die Jünger des Herrn jene göttliche Botschaft vom Ich in ihren letzten Tiefen nicht zu fassen, wie sie dem S379 göttlichen Ich nicht das menschlich-irdische Gefäß darzubieten vermögen, wie sie den "Weg des Lebens" nicht finden können, bis auf den Einen, der von Christus selbst geführt, unter unsäglichen Schwierigkeiten und Krisen, durch die Grabespforte selbst hindurchschreitend, hindurch sich pressend zuletzt ihn findet - wie sollte da nicht alle Schwachheit und Unzulänglichkeit in unserm Wesen von jener Botschaft, von jenem Ich selbst, das ja doch auch heute noch in ferner Zukunft liegt, wie von etwas in alle Ewigkeit hoffnungslos Unerreichbarem sich zurückgestoßen fühlen? Bringt diese ganze große Botschaft des Johannes-Evangeliums zuletzt nicht nur die eigene Ohnmacht uns um so stärker zum Bewußtsein?

   Und dennoch würde in solchen Gedanken nur die Einflüsterung des Widersahers leben, der uns vergessen lassen möchte, daß jenes Ich, von dem die Botschaft und Offenbarung des Johannes-Evangeliums uns kündet, zugleich die Liebe, die Sternen-Offenbarung der Liebe ist, die sich mit allem, was lebt und leidet, im Innersten verbunden weiß, und daß die Vollmacht des Ich darum auch die Kraft der großen Fürbitte in sich trägt. Kräfte der Liebe sind es letzten Endes, die den Menschen den Lebenswein fließen lassen, die dem Blindgeborenen das Auge öffnen, die durch Verirrung in der Liebe Gefallene wieder zum Lichte emporheben, die zuletzt die Kräfte der Verwesung selbst besiegen und die Grabespforte sprengen. Zu dieser Vollmacht im Ich gehört auch die Liebe im Ich, die alle Not der andern, alle Schwachheit der andern, alles Versagen der andern in ihr innerstes Wesen, ihre innerste Fürbitte aufnimmt, die zuletzt von sich sprechen kann: "Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde" (Joh.15,13). Es ist die Liebe, die da, wo sie um der menschlichen Schwachheit willen noch nicht weckende Liebe sein kann (wie zwischen Christus und Lazarus), als tragende und bewahrende Liebe sich offenbart (wie zwischen Christus und den Jüngern), die Liebe, die letzten Endes niemals trennend oder ausschließend, sondern immer nur verbindend, zu den göttlichen Höhen des Menschenwesens emporführend und auf diesen Höhen alle S380 vereinigend wirken kann. Nicht einmal, daß wir unmittelbar den Anschluß an das göttliche Ich gewinnen, sondern daß wir ihn finden können an die große Fürbitte des Christus, und durch die Kraft dieser Fürbitte den Anschluß an das göttliche Ich selbst, ist der erhabene Sinn des Johannes-Evangeliums.

   Und diese Fürbitte des Christus, sie hatte die allerstärkste, sie hatte eine weltgeschichtlich einmalige Kraft und Vollmacht, weil sie im Tode selbst, im Hindurchgehen durch die Todestiefen der Erde diese ihre Kraft und Vollmacht besiegelt. Daß ein dem Tode sich Vermählender die erhabenen Worte des siebzehnten Johannes-Kapitels spricht, das gibt den Worten der Fürbitte ihre Kraft und Vollmacht, daß aus dem Sterbend-sich-Hinopfern des Christus die Offenbarung des heiligen Geistes erfließt, das gibt ihnen die von Welten-Sternen-Licht erglänzende Lichtfülle. Ein Welten-Samenkorn, eine Welten-Samenkraft und Sonnen-Kraft tragen die Worte des sterbend für die Seinen sich hinopfernden, des den Todestiefen der Erde sich vermählenden Christus in sich. Auch in diesem Geheimnis des Samenkorns und der Erdentiefe (vgl. Joh.12,24, auch dort im Zeichen Jungfrau) ist ein Geheimnis der himmlischen Jungfrau beschlossen.

   Nicht umsonst hat der Christus den Jüngern von der Kraft des Gebets, der Bitte im Ich so gesprochen, daß er ihnen deutlich macht, wie jene Allmacht im Ich, jene Kraft und Vollmacht des Gebets doch nur ausgeübt werden kann, wenn und soweit sich das Ich mit dem Göttlichen und darum auch mit allem, was lebt, in Liebe verbunden weißt, darum auch seine Worte: "so ihr in mir bleibet" Joh.15,7 (vgl. auch Mark.11,25,ME275). Von dieser Sternen-Liebe, dieser in der Sternenharmonie des Weltalls sich offenbarenden Liebe, die den Christus für die Seinen in den Tod gehen läßt, durch den Tod die Kraft der Fürbitte besiegelt, gibt das 17. Johannes-Kapitel das weltgeschichtliche Vorbild.

   Von dieser großen Fürbitte des Christus gehen die Kräfte aus, die uns auch überall da, wo im Leben und in unserer Arbeit Menschen unserer Fürsorge anvertraut sind, zu S381 helfenden Kräften werden können. In diese Richtung deutet auch das "neue Gebot der Liebe" (Joh.13,34), das der Christus den Seinigen gibt ("...daß ihr euch untereinander liebet, so wie ich euch geliebt habe"). So alldurchdringend sind die von der Fürbitte des Christus ausgehenden Welten-Liebes-Strahlen, daß sie auch die Niederungen des Alltagslebens und aller Menschenarbeit und Menschheitsarbeit erleuchten und erwärmen können. Das kann ein Grund sein, warum Johannes der Eingeweihte, warum der Inspirator des Johannes-Evangeliums auch diese intimste, diese esoterischeste aller ihm zugeflossenen Weltenoffenbarungen und Christus-Offenbarungen, warum er dieses ganze erhabene Zwiegespräch zwischen dem Sohn und dem Weltenvater, in das er in der höchsten und intimsten aller ihm geschenkten Offenbarungen hineinlauschen durfte, warum er diese sternenleuchtendste aller geistigen Offenbarungen dennoch der Mitwelt und der Nachwelt anvertraut hat.

   Auch den in Liebe uns verbundenen Toten, und gerade ihnen, die nach Abstreifung der Erdenzusammenhänge hinübergegangen sind in die Sternenzusammenhänge der geistigen Welt, aus Sternenwelten und Sternenkräften heraus die Zusammenhänge neuer Erdenleben vorbereiten, das Gewebe eines neuen Erdenkleides spinnen, können die in meditativer Hingabe von uns aufgenommenen Welten-Liebesstrahlen des "hohepriesterlichen Gebets" zur kosmischen Wegzehrung (Jungfrau) werden, die die Verbindung zwischen uns und ihnen immer fester und inniger knüpft. In dieser an den Kräften der Christus-Fürbitte sich belebenden inneren Verbindung in der Sternenharmonie weben und arbeiten wir mit ihnen an jenem 'Sternenkleid der Liebe', von dem wir wissen, daß es das Ich ist, in der Sprache des Märchens das Sternen-Geheimnis des Ich ausdrückt (Teil A cap.5). Da können unsere an den Liebesstrahlen der Christus-Fürbitte erwachenden und sich belebenden Empfindungen zusammenfließen mit denen, wie sie Christian Morgenstern so menschlich-schön und menschlich-schlicht ausspricht in dem Gedichte "Leis auf zarten Füßen naht es (in "Wir fanden einen Pfad"): S382


Die in Liebe dir verbunden,

werden immer um dich bleiben,

werden klein und große Runden

treugesellt mit dir beschreiben.


Und sie werden an dir bauen,

unverwandt, wie du an ihnen, -

und, erwacht zu Einem Schauen,

werdet ihr wetteifernd dienen!


   Auch diese tragende und bewahrende, diese am Andern bauende und ihn emporziehende Liebe gehört zur Vollmacht des Ich, zur Magie des Ich. Erst in dieser den Andern mit in unser eigenes innerstes Wesen aufnehmenden Liebe vollendet sich das Ich: "Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hat, daß sie meine offenbarende Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast; denn Du hast mich geliebet, ehe denn die Welt gegründet ward" (Joh.17,24).

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   Das eigentliche "Sternengeheimnis" des 17. Johannes-Kapitels ist im siebenten Kapitel des I. Teiles (A) "vom Sternengeheimnis des ewigen Namens" dargestellt. Alle Welten-Sternen-Geheimnisse läßt dieses siebzehnte Kapitel des Johannes-Evangeliums noch einmal im Welten-Lichte vor uns aufleuchten. Dann vollzieht sich, mit dem Beginn des 18. Kapitels, der jäheste aller Übergänge des Johannes-Evangeliums. Da sehen wir, im großen Todesgange des Christus, das Sternengeheimnis ganz hinübergehen in das Erdengeheimnis, in jenes Erdengeheimnis, das wir schon im achten, neunten Kapitel des Johannes-Evangeliums leise anklingend fanden, bis es im 11. Kapitel in der ganzen Größe des Mysteriums hingestellt werden konnte. Da kann uns dann das 17. Kapitel wie ein letztes Aufleuchten der Sterne, wie ein Abschied von den Sternengeheimnissen anmuten, und der Übergang zum Folgenden wie jene schwarze F-Moll-S383-Stelle im 1. Satz von Bruckners IX. Symphonie, wo der Sternenschimmer in der finstern Erdentiefe verlischt, wo die Sterne gleichsam selbst in der Erde versinken, und ein finsterer, schwarzer Schleier, der Schleier von Golgatha, sich über das ganze geistige Blickfeld ausbreitet. Auch in dieser Berührung von Sternengeheimnis und Erdengeheimnis, von Sternenhöhen und Erdentiefen offenbart sich das Geheimnis desjenigen Zeichens, das zugleich das Zeichen des Elementarischen der Erde und des höchsten Sternen-Lebensäthers ist, das Erden-Zeichen und Lebensäther-Zeihen des Christus-Sohnes-Kreuzes, das auch über der großen kosmischen Fürbitte des Christus leuchtende Zeichen der himmlischen Jungfrau.

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