Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

 

A. Erster Abschnitt: Sternengeheimnis:

Die kosmischen Ausgangspunkte für die Betrachtung des Johannes-Evangeliums

Kap. 4,5,6 - zunächst:

Kap. 4:

  Der kosmische Rhythmus im Johannes-Evangelium

S73  Wenn im Folgenden versucht wird, in einer Art kurzen Überblicks zu zeigen, wie unter Anwendung des im Markus-Evangelium sich darbietenden Schlüssels der Rhythmus im Johannes-Evangelium sich gestaltet, muß im Auge

behalten werden, daß alle eigentliche "Beweisführung" der ausführlichen Darstellung im zweiten Teile dieses Buches vorbehalten bleiben muß, daß erst da die volle Evidenz der Zusammenhänge sich wird ergeben können.

  

   Wie das Markus-Evangelium, bringt auch das Johannes-Evangelium im ersten Kapitel die Christus-Geschehnisse am Jordan. Dem entspricht hier und dort die Gleichheit der Tierkreiszeichen: beide Anfangskapitel (bei Markus und Johannes) liegen in der Tierkreis-Achse Fische-Jungfrau, im Querbalken des Sohnes-Kreuzes, das auch das "ätherische Kreuz", das Christus-Kreuz der Mitte ist (M.E.358ff). Ein Unterschied beider Evangelien ergibt sich da nur in dem, was der Jordantaufe vorangeht. Im Markus-Evangelium finden wir da den öfter erwähnten Elias-Johannes-Auftakt des Christusgeschehens in den beiden Saturn-Zeichen Steinbock und Wassermann. Da wird der Blick zuerst hingelenkt auf die Gestalt des großen Vorläufers und Wegbereiters für Christus und das Erdenwerk Christi.


   Beim Johannes-Evangelium als dem eigentlichen Christus-Evangelium kann es sich um einen solchen, in Menschheits-Vergangenheit blickenden "Auftakt" nicht mehr handeln, da kann der Auftakt, wenn sich ein solcher auch dort findet, nur mit Christus, mit dem Ewigen zu tun haben, da kann er nur ein S74 kosmischer Auftakt sein: "Im Urbeginne war das Wort... und das Wort ward Fleisch... und wir sahen seine offenbarende Herrlichkeit..." (Joh. 1,1-14). Suchen wir hier die Beziehung zum Tierkreis, so können wir sie nur finden im Zeichen des Wortes, im Stier, der im Sinne der Geheimwissenschaft zugleich das Zeichen der "Erden-Urbeginne" ist. Wie der Stier das Zeichen des Wortes im Urbeginn ist der Widder das Zeichen, der Erden-Aktivität, des Hereintretens ins Irdische. "Und das Wort ward Fleisch", und erst mit Joh. 1,19 wäre dann der Eintritt in die das Übrige des Eingangskapitels bestimmende Tierkreis-Achse Fische-Jungfrau gegeben.


   Noch mehr als im Markus-Evangelium finden wir im Johannes-Evangelium das Mitschwingen und Mitklingen des jeweiligen Gegenzeichens, noch mehr als dort erscheint, besonders im Anfang, immer die ganze Tierkreis-Achse betont. Schon hier können wir erkennen, wie der Rhythmus im Johannes-Evangelium, im Anfange wenigstens, eine andere Bewegungsrichtung hat, wie es da

nicht, dem Jahresrhythmus der Zeichen entsprechend, von unten nach oben, sondern umgekehrt, dem Rhythmus des großen Welten-jahres entsprechend, von oben nach unten geht: wurde im ersten Markus-Kapitel die Tierkreis- achse Fische-Jungfrau von unten her, von Stein- bock-Wassermann aus erreicht, so im Johannes-Evangelium von oben her, vom Stiere her.


   Das wird alles noch einleuchtender, wenn wir zum zweiten Johannes-Kapitel übergehen. Da versetzt uns die "Verwandlung von Wasser in Wein" bei der Hochzeit von Kana sofort in die Polarität des Johanneswortes (zuerst Matth.3,11, ähnlich Mark. 1,8): "Ich taufe euch mit Wasser, er aber (Christus) wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen." Wasser des Ätherischen, wie es ein tragendes Element aller vorchristlichen Mysterien war, wird durch das Christus-Sonnen-Ich in den Wein des Persönlich-Ichhaften verwandelt. Dieser polarische Gegensatz ist aber, vom Tierkreis her angeschaut, derjenige von Wassermann und Löwe (ME29,63). Beim Wassermann finden wir die Wassertaufe, die "Wasser des Ätherischen", S75 das Element des "Menschen der Urbeginne". Der Löwe, das Zeichen des Herzens, des Wärmefeuers und des Blutes, ist zugleich das Zeichen des Geistesmenschen (Atma), des vom Ich aus bis in Blut und Atem verwandelten Physischen. Da offenbart sich, in der "Verwandlung von Wasser in Wein", der höhere Lebenswein des Ich. Die in vorchristlichen Mysterienzusammenhängen Stehenden mußten bei einem solchen, für sie noch unerhörten Hereinbringen des Ich in das höhere Erleben um das Schicksal des physischen Leibestempels bangen, ihn in der Gefahr des Zerbrechens sehen, erst das wirkliche höhere Ich in Christus bewirkt da die Erneuerung, die Auferstehung aus dem Physischen: daher das Christuswort vom Wiederaufbau des zerbrochenen Leibestempels gerade in diesem Zusammenhang. Der "kosmische Rhythmus" erweist sich da als ein unmittelbares Hilfsmittel für die Erkenntnis des Evangelienzusammenhangs. Vom planetarischen Gesichtspunkt erscheint der dieses Kapitel beherrschende Gegensatz Wassermann-Löwe als derjenige von Saturn und Sonne. Für das Verständnis des Mysterienvorgangs von Kana liegt darin ein neuer, offenbarender Gesichtspunkt.

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   Anders als im Markus-Evangelium fügt sich im Johannes-Evangelium der Rhythmus viel mehr in die überlieferte Kapitel-Einteilung. Von den dem absteigenden Rhythmus des großen Weltenjahres folgenden fünf ersten Kapiteln ordnet sich jedes zu einem andern Zeichen bzw. zu einer andern Achse des Tierkreises. Der Fortgang dieses Rhythmus müßte von der Konstellation Wassermann-Löwe im zweiten zur Konstellation Steinbock-Krebs im dritten Wirklich finden wir im Schlusse dieses Kapitels die Kapitel führen.

für den geistigen Sinn des Krebszeichens vor allem charakteristischen Johannes-Worte: "Er muß wachsen; ich aber muß abnehmen", (dazu ME98,281). Im Täufer Johannes am Jordan steht der letzte große Vertreter des Vorchristlichen dem Bringer des Neuen gegenüber. Wie vorchristliche Einweihung ihren Höhepunkt im Steinbock hat - hier findet auch noch Buddha seine "Erleuchtung" -, so vollendet sich die neue, die christlich-johanneische Einweihung im Krebs (ME241ff).


S76   Dieser ganze Gegensatz, und mit ihm die gleiche Konstellation, beherrscht auch schon den Anfang des dritten Johannes-Kapitels, das Nachtgespräch und Mysteriengespräch des Nikodemus mit Christus. Nikodemus ahnt das Neue, Kommende, kann es aber noch nicht fassen. Schwierigkeit bereitet ihm vor allem das Geheimnis der neuen Geburt, der Geburt von oben, von den Kräften des Sternhimmels (Uranos) her, aus dem der Christus zur Erde herniederstieg. Immer aber stehen die Geheimnisse der Geburt und des Mütterlichen im Krebszeichen. Den neuen durchchristeten Sinn dieses Zeichens und seiner Geburtsgeheimnisse vermag Nikodemus noch nicht zu fassen, er möchte stehen bleiben beim Alten, beim Steinbock-Saturn-Zeichen, bei dem sich auch die irdische Geburt des Jesus von Nazareth (hier Joh.3 aber spricht Christus von einer ganz andern) noch vollzieht (darum liegt auch im Jahresrhythmus Weihnachten im Steinbock).


   In immer anderer Form, mit immer neuer Nuance erscheint dieser Gegensatz des Vorchristlichen und des Christlichen, der alten und der neuen Mysterien in jedem der ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums. Er kommt zu einer gewissen Schicksals-Höhe im vierten Kapitel, bei der Begegnung des Christus mit der Samariterin am Brunnen (in der wir uns die Hierophantin einer alten, verfallenen Mysterienstätte zu denken haben). Als Gegensatz der alten und der neuen Lebensquelle tritt er uns da entgegen. Die Begegnung spielt in der "sechsten Stunde", d.h. (nach hebräischer Zeitrechnung) in der heißen Mittagsstunde. Leise fühlen wir da etwas hereinklingen von den Geheimnissen des "großen Mittags Zarathustras"§, dessen Größe als des Urinspirators aller großen nachindisch-vorchristlichen Mysterien wir auch hinter dieser dekadenten Mysterienstätte noch verspüren. Die über dem ganzen Kapitel liegende Tierkreis-Achse Schütze-Zwilling (sie ist ja die an die Achse Steinbock-Krebs des 3.Kapitels im Rhythmus sich anschließende) spricht in ihrem oberen Gegenzeichen, dem Zarathustra-Zeichen Zwillinge (im Rhythmus des Johannes-Evangeliums ist immer das untere, dunkle das primär S77 betonte) von diesen Geheimnissen Zarathustras, während im Schützen auch hier wieder das Geheimnis der auf Golgatha entspringenden, neuen Lebensquelle angedeutet ist. Oben, im Höhenzeichen Zarathustras, entsprang die alte Lebensquelle, deren Wasser dann immer spärlicher wurde, bis es zuletzt versiegte. Unten, im Schützen, besiegt der Tod des Christus die ertötenden Verstandeskräfte, die jenen Lebensquell der Urzeit zum Vertrocknen brachten.


   So wird das Negative des Schützen durch Christus in ein Positives gewendet. Dieses Motiv beherrscht dann auch den Schluß des Kapitels, die Heilung des Hauptmannssohnes durch Christus. Die Lebensgegensätze, Gut und Böse, Männlich und Weiblich, die zuerst in Zarathustras großer Lehre von Licht und Finsternis ihren Ausdruck fanden, sind mit der Krisis der Geschlechtsreife in das Leben des Kindes eingetreten, Kräfte der Sinnlichkeit haben das einstige Leben ertötet. Das liegt in der gleichen Konstellation: das Negative von Zwillinge ist der Verstandeszweifel, von Schütze die Sinnlichkeit und sinnlichkeitsgebundene Denken. Christus, der Mittler, schafft den Ausgleich vom höheren Ich.


   Die Fortsetzung des Rhythmus führt im 5. Kapitel in die Achse Skorpion-Stier. Das findet in der Geschichte der Heilung des Kranken von Bethesda mit dem anschließenden Pharisäerstreit wegen des Sabbatbruches den deutlichsten Ausdruck. Wie schon immer im Markus-Evangelium erscheint hier auch im Johannes-Evangelium im Skorpion die krankheitsverursachende

Todesmacht, im Stier die (hier den "Willen im Ich" weckende) heilende Wortesmacht und göttliche Liebeskraft, der sich dann beim Pharisäerstreit im Skorpion wieder die Vertreter des Alten widersetzen, die am toten Gesetzesbuchstaben festhalten wollen. Es wurde bereits erörtert, wie das Planetarische dieses Gegensatzes in der Opposition Mars-Venus seinen Ausdruck findet.

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   Von den Fischen im ersten Kapitel hat der Rhythmus des Johannes-Evangeliums durch die ganzen fünf dunkeln S78 Tierkreiszeichen (ME20ff,22ff,34ff,38ff) bis zum Todeszeichen Skorpion geführt. Damit hat ein erster größerer Abschnitt des Johannes-Evangeliums seinen Abschluß gefunden. Ihm folgt ein weiterer, der wiederum fünf Kapitel umfaßt (6-10). Auf den Zusammenhang der fünf unteren dunklen Tierkreiszeichen mit den fünf Broten der einen Speisung wurde schon bei der Darstellung des Markus-Evangeliums hingewiesen (ME34). Es ist darum nicht ohne Sinn, nicht ohne innere Zusammenhang mit der ganzen Komposition des Evangeliums, daß gerade in dem auf die erste Fünfheit folgenden, eine neue Fünfheit einleitenden sechsten Johannes-Kapitel diese Speisung mit den fünf Broten ebenfalls erzählt wird. Wie eine bildhafte Zusammenfassung der den vorangegangenen Rhythmus beherrschenden fünf dunkeln Zeichen nimmt sie sich aus. Geheimnisse der christlichen Einweihung, die auch den unteren, dunklen Kräften des Bösen ausgesetzten Willensteil des Menschen (von Skorpion bis abwärts zu den Fischen, den Füßen) ergreift, leuchten darin auf.

  

    Schauen wir von diesem Punkte auf den Anfang des Johannes-Evangeliums zurück, so können wir finden, wie in jenen fünf ersten Kapiteln der Christus, ehe er den allgemeinen Boden der Menschheit betritt, durch eine Reihe von Mysterienbegegnungen und Mysteriensphären hindurchgeht, die alle noch über dem gewöhnlichen Irdisch-Menschlichen liegen. Da vollendet sich gewissermaßen der Niederstieg des des Christus zur Menschheit, der im ersten

Kapitel, in der Jordantaufe, nur erst beginnt. Auch das schon am tiefsten im Menschlichen liegende 5. Kapitel trägt noch gewisse Mysterienzusammenhänge und Mysterienmotive in sich. Wir können unter diesem Gesichtspunkt jene fünf ersten Kapitel als Mysterien-Kapitel zusammenfassen, denen die nächstfolgenden fünf Kapitel (6-10) sich dann als "Menschheits-Kapitel" entgegensetzen.

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   Aus der Evidenz des für die ersten fünf Kapitel des Johannes-Evangeliums gefundenen, durch die fünf dunkeln Tierkreiszeichen abwärtssteigenden Rhythmus folgt nun nicht, S79 daß diese rhythmische Tendenz im Folgenden sich in der gleichen Weise fortsetze (was dann weiterhin von

den dunkeln wieder nach den hellen Tierkreiszeichen hinaufführen würde), sondern bei Untersuchungen dieser Art kommt es darauf an, das Gefundene an jedem Punkt immer wieder aufs neue an den Tatsachen zu prüfen.


   Schon das in sich Zusammenhängende, auf die christlich-johanneische Einweihung Hinweisende der fünf dunkeln Tierkreiszeichen in den fünf ersten Kapiteln läßt hier einen bestimmten Abschluß vermuten. Auch kommt in Betracht, daß im Johannes-Evangelium, mehr als bei Markus, immer die ganze Tierkreis-Achse (Zeichen und Gegenzeichen) betont ist. Nehmen wir also den "kosmischen Auftagt" (Stier) des ersten Kapitels mit dazu, so sind wir im 5. Kapitel (Achse Skorpion-Stier) bereist zur Ausgangs-Konstellation, die jetzt nur vom untern, dunkeln Zeichen her betont ist, zurückgekehrt.


   Die Fortsetzung des Rhythmus würde, nachdem wir im 5. Kapitel von den Fischen bis zum Skorpion heruntergekommen sind (würde man den Rhythmus der Menschengestalt zugrundelegen, so wäre alles dieses ein Gehen nach aufwärts!), im 6. Kapitel zur Wage hinüberführen. Dem entsprechen durchaus die Tatsachen des Evangeliums. Nur ist es so, daß, nachdem der Evangelien-Rhythmus die Wage erreicht hat,

dort eine Art Ruhepunkt eingetreten ist, daß über der ganzen nunmehr folgenden Fünfheit von Kapiteln die Wage stehen bleibt. Das wird hier zunächst wie eine Hypothese, ein in der Anwendung auf die konkreten Evangelien-Tatsachen erst zu erprobender Schlüsselgedanke hingestellt. Dabei ist im einzelnen noch verschiedenes zu beleuchten.


    Zuerst erhebt sich, gleich beim Anfang des sechsten Kapitels, der Einwand oder die Frage, ob denn die dort erzählte Speisungsgeschichte nicht der Tierkreisachse Fische-Jungfrau sich zuordne (in der Parallel-Erzählung Mark.6 sind die Fische, bei der andern, im Johannes-Evangelium ME150,171). Der aus dem Markus-Evangelium klar erhellende Sinn der einzelnen Tierkreiszeichen

 bleibt unser Schlüssel S80 auch für das Johannes-Evangelium. Auch im Johannes-Evangelium würde, für sich allein betrachtet, die Speisungsgeschichte auf die Achse Fische-Jungfrau (in der wir später, im 13. Kapitel, das Christus-Abendmahl wirklich finden) deutlich hinweisen.


   Nun aber sind im Johannes-Evangelium, viel mehr als im Markus-Evangelium, die einzelnen Kapitel in sich geschlossene, rhythmische Einheiten. Nicht die Speisung als solche, sondern die durch das Speisungserlebnis im Bewußtsein der Jünger ausgelöste Krisis, die dann im Bilde des Seesturms ihren Ausdruck findet, bildet den Mittelpunkt und den entscheidenden Inhalt des sechsten Johannes-Kapitels. In der Erzählung beider Evangelien (Mark. 6 und Joh. 6) ertönen aus dem Munde des auf den Wogen wandelnden Christus die Worte: "Ich bin, fürchtet euch nicht". Der Zusammenhang dieses Christus-Wortes Ich-Bin mit dem Zeichen der Wage wurde früher schon erkannt und ausgesprochen (zuerst ME112). Ist in diesem Sinne schon im 6. Markus-Kapitel die Wage stark mitbetont (beim Seesturm Mark. 4 ist sie das primär betonte Zeichen), so ist im Johannes-Evangelium, als im Evangelium des Ich, die Betonung der Wage hier eine ganz entscheidende, nicht nur dieses, sondern auch die ganzen folgenden Kapitel (7-10) bestimmende. In diesen Kapiteln wächst sich die anfängliche Jünger-Krisis zur großen Menschheits-Krisis aus, und da steht das Ich-Bin des Christus im Zeichen der Wage überall in der Mitte. Als der Repräsentant der Menschheit (im Sinne des Vollmenschlichen) und ihres verlorenen, vergessenen höheren Ich steht der Christus hier vor dem geistigen Auge überall zwischen den Menschheits-Widersachern, dem Widersacher zur Rechten und dem Widersacher zur Linken (vgl. ME352). Die Worte des Lukas-Evangeliums (4,30): "Und er ging mitten durch sie hinweg", die sich dem Sinne nach fast in jedem dieser Johannes-Kapitel wiederholen (6,15; 7,30; 7,44; 8,59; 10,31; 10,39) erscheinen da wie das erhabene Leitmotiv des ganzen Evangelien-Abschnitts (Joh.6-10). Und es verbindet sich dieser Sinn und dieses Bild dann mit dem Sinne und dem Bilde des Wage-Zeichens, das als das Zeichen des großen Ich und Christus-Ich-Bin zugleich das Zeichen des S81 Menschen und der Menschheit ist: unter den vier Tierkreis-Dreiecken (siehe Anhang), die sich auch den vier apokalpytischen Wesenheiten (Apok.4,7) - Stier, Löwe, Adler, Mensch - und damit zugleich den vier Evangelien zuordnen, gehört die Wage (neben dem Wassermann und den Zwillingen) zum Dreieck des Menschen. Wie die ersten fünf Kapitel des Johannes-Evangeliums Mysterien-Kapitel sind, die noch über der gewöhnlichen Menschheits-Sphäre liegen, sind die Kapitel der zweiten Fünfheit (6-10) Menschheits-Kapitel. Ihr Himmelszeichen ist das Menschheits-Zeichen der Wage, das zugleich das Christus-Zeichen des Ich-Bin ist. Es ist das große Ich im Zeichen der Wage, das hier, indem es mitten unter die Menschheit tritt, den großen Menschheitskonflikt, die große Menschheits-Krisis in so erschütternder Weise zum Ausbruch bringt.


   So steht, als Ganzes genommen, das 6. Kapitel doch im Zeichen der Wage. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die unter dem Eindruck des im Herzen noch nicht verstandenen Speisungserlebnisses, und gegen des Sinn des wahren Christus-Königtums im Ich, den Christus Jesus zu einem falschen irdischen Königtum im Sinne jüdischer Messias-Vorstellungen erheben wollen; auf der andern Seite diejenigen, die den Stein gegen Christus erheben, die den Menschheits-Repräsentanten steinigen, ihr eigenes höheres Ich ertöten wollen  (Joh. 8,59;  10,31; auch 7,30; 7,44; 10,39). Im falschen Königtum liegt die Abirrung des Widersachers zur Linken, der das Schein-Ich an die Stelle des wahren Ich setzen will. Im Aufheben des Steines gegen den Träger des wahren Ich liegt die Herzens-Versteinerung, die Abirrung des Widersachers zur Rechten. Zwischen beiden Abirrungen und Widersachern behauptet sich das große Ich, das Ich-Bin des Christus, aufrecht in der Mitte, in der Wage. Das ist der Sinn des Wage-Zeichens, dem wir die Kapitel bis zum zehnten, und einschließlich des sechsten, von seinem Anfange an, zuordnen.


   Und doch ist die auf die Konstellation Fische-Jungfrau hinweisende Beziehung der Speisungsgeschichte im Kapitel-S82-Anfang nicht ganz zu übersehen. Das "Stehenbleiben in der Wage" (Joh.6-10) ist cum grano salis zu verstehen. Es muß gesehen werden, daß es sich da um kein völliges Ruhen handelt, daß vielmehr, nachdem der Rhythmus des Johannes-Evangeliums die Wage erreicht hat, diese nicht einfach stillstehend, sondern gleichsam schwankend, oszillierend, die beiden Gegensätze, zwischen die sie hineingestellt ist, wechselweise berührend vorzustellen ist; wie es ja auch im Alltagsleben sich trifft, daß die Wage, ehe sie die völlige Gleichgewichtsruhe erreicht, noch in Bewegung ist, oszilliert, daß ihre Zunge noch schwankt. Wir müssen uns nur auch jene kosmischen Dinge nicht schematisch und abstrakt, sondern möglichst konkret und lebendig vorstellen, und die Anlehnung an Bilder und Vorstellungen des Rein-Irdischen dabei nicht scheuen: "Wie unten, so oben".


   Wie die eine, die luziferische Abirrung nach oben, weist die andere, ahrimanische, nach unten. Das an und für sich Göttliche des Jungfrauen-Zeichens, das ein Lichtes-Zeichen ist, bringt Luzifer in die Trübung des irdisch-sinnlichen Sehens der Dinge. Wie die Wage zwischen den beiden andern Zeichen, oben und unten, steht hier in diesen Kapiteln Christus zwischen den beiden Widersachern, zwischen Licht (Jungfrau) und Finsternis (Skorpion - man bedenke die Ähnlichkeit der zeichenhaften Darstellung, die beim Skorpion eine Art Widerhaken erhält - KK). Das tritt im neunten Kapitel, bei der Blindenheilung, besonders hervor.


   Im 6. Kapitel tritt, neben der luziferischen Abirrung, der göttliche Sinn der Jungfrau hervor, wo sie als Zeichen des Lebensbrotes erscheint: "Ich bin das Brot des Lebens". Aber das Lebensbrot, die ätherische Lebensspeisung wird jetzt im Ich empfangen: darum steht die Wage, das Zeichen des Ich, auch hier überall entscheidend in der Mitte, und im Motiv des Lebensbrotes erscheint die Jungfrau lediglich mitbetont. Ähnlich hält auch im 8. Kapitel das Ich-Motiv der Wage neben dem der Steinigung, der im Herzen der finstern Ankläger wirkenden Skorpion-Todesmacht, deren Marsdämonie auch bei der Ehebrecherin das Jungfräuliche in die Abirrung brachte, die Mitte zwischen Skorpion und Jungfrau: Christus, der in der Wage, im göttlichen Ich sprechen kann: "Ich bin das Licht der Welt" hebt die Gefallene wieder zu den Höhen des Göttlich-Jungfräulichen S83 empor. Im 10. Kapitel zeigt die Wage den Weg des Ich ("Ich bin die Tür") als den rechten Weg der Mitte, zwischen den Abirrungen der beiden Widersacher hindurch. Der Widersacher, der das Ich vergewaltigen will, ist im Sinne dieses Kapitels der "Wolf, der die Schafe erhascht und zerstreuet." (vgl. dazu ME323).


   In der Wage, die auch das Zeichen und Sinnbild des "Gerichtes" immer gewesen ist, vollzieht sich im Johannes-Evangelium (cap.6-10) die durch das Christus-Ich herbeigeführte und bewirkte große Scheidung der Geister, die Scheidung zwischen Licht und Finsternis, die Krisis, wie das Geschehen im Urtext des Evangeliums selbst genannt wird, das "Gericht" (wie Luther übersetzt). Das ist das gemeinsame Motiv dieser Kapitel, die wir als "Menschheits-Kapitel" bezeichneten. Nachdem der Rhythmus also in den ersten fünf Kapiteln, durch die dunkeln Tierkreiszeichen abwärts steigend, bis zum Skorpion gekommen, hat er im 6. Kapitel, die gegebene Richtung einhaltend, die Wage erreicht, dasjenige Zeichen also, das zwischen den oberen hellen und den unteren dunkeln Zeichen den Übergang auf der Herbstseite ebenso bildet, wie auf der Frühlingsseite die Fische. Wir können das an sich dunkle Zeichen der Fische, weil zum Hellen hinüberführend, auch schon als ein "halbhelles", das an sich das helle Zeichen der Wage, weil zum Dunkeln hinunterführend, als ein halbdunkles Zeichen ansehen. An dem Punkte, wo der Rhythmus des Johannes-Evangeliums die Wage erreicht, bleibt er durch fünf Kapitel in ihr stehen, aber in der Weise, daß die (gleichsam oszillierende) Wage in einer beständigen Auseinandersetzung mit dem oberen Hellen (Jungfrau) und dem unteren Dunkeln (Skorpion) steht. Es ist für den Rhythmus des Johannes-Evangeliums durchaus charakteristisch, daß er (höchstens mit einer Ausnahme in cap. 17) eigentlich überall nach dem dunklen Teile des Tierkreises (als dem Gebiete der christlich-johanneischen Einweihung) sich orientiert.

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S84 Wurde im 10. Kapitel das Wesen des johanneischen Einweihungsweges von Christus im Worte hingestellt, so wird im 11. Kapitel diese johanneische Einweihung zur Tat in der Auferweckung des Lazarus.

(Die eingehende Begründung dieser Tatsache wird im zweiten Teil dieses Buches, in dem Kapitel über die Erweckung des Lazarus gegeben  werden.  Dort

wird auch auf die Zusammenhänge mit der Initiationsgeschichte des Markus-Evangeliums hingewiesen werden.)

 

Schon in der Darstellung des Markus-Evangeliums (ME51ff,209ff,241ff) suchten wir zu erkennen, wie in den dort (zwischen den Zeilen des Evangeliums) geschilderten Einweihungsvorgängen das Erwachen und Sichaufschließen des Johannes-Bewußtseins von Stufe zu Stufe sich vollzieht. Schon dort wurde darauf hingewiesen, wie diese geistigen Geschehnisse mit dem geheimnisvollen Vorgang in einem inneren Zusammenhang stehen, den das Johannes-Evangelium als die "Erweckung des Lazarus" erzählt. Im Sterben des Lazarus - so können wir das Motiv des Evangeliums, der beiden Evangelien vielleicht in aller Kürze fassen - vollzieht sich das Werden des Johannes, das Erwachen des Christusjüngers. Vollzieht sich das (im Markus-Evangelium geschilderte) Erwachen des Johannesbewußtseins in oberen, lichten Zeichen des Tierkreises, (beginnend im Stier, sich vollendend in Zwilling, Krebs, Löwe), so das mit jenen Bewußtseinsvorgängen als äußerer Vorgang Hand in Hand gehende "Sterben des Lazarus" in den entsprechenden bzw. gegenüberliegenden unteren, dunkeln Tierkreiszeichen, also so, daß wir das Zeichen, das auch sonst zu Krankheit und Tod die Beziehung hat, den Skorpion, das Gegenzeichen des Stier, mit dem "Siechtum des Lazarus" (Joh.11,1) in Verbindung bringen. Schütze ist dann hier, wie sonst, das eigentliche Sterben. Steinbock, das dem Krebs gegenüberliegende "Wende-Zeichen" bedeutet den hier sich vollziehenden, entscheidenden Menschheits-Wendepunkt, den Übergang von der alten zur neuen Einweihung, und Wassermann bezeichnet hier, wie sonst im Evangelium (bei Johannes dem Täufer wie bei Christus) das Begräbnis, das Liegen im Grabe. In den Fischen vollzieht sich dann (wie auch bei Christus) das S85 Auferstehen aus dem Grabe. So wird, was als Einweihungs-Bewußtseins-Vorgang im Markus-Evangelium gleichsam von der oberen Seite geschildert wird, im Johannes-Evangelium von der untern, dunkeln Seite angeschaut.

   Durch dieselben dunkeln Tierkreiszeichen, durch die das Streben des Christus selbst, das Mysterium von Golgatha hindurchführt, hat auch das Sterben des Lazarus hindurchgeführt. Und es wird bei der ausführlichen Darstellung im zweiten Teile dieses Buches noch deutlicher werden, wie diesem Zusammenhang voll und ganz entspricht, wie das Sterben und die Erweckung des Lazarus aufs engste mit dem Mysterium von Golgatha selbst verbunden ist, wie es das ganze Sterben des Christus, das Mysterium von Golgatha schon in sich trägt.

   Jetzt wird auch das oben berührte "Oszillieren der Wage" beim vorausgehenden Evangelien-Abschnitt verständlicher. Nachdem der Rhythmus des Johannes-Evangeliums die Wage erreicht hat, bleibt er, so sehen wir, dort nicht einfach in Ruhe, sondern die Wage schwingt jetzt zwischen dem oberen und dem unteren Zeichen gleichsam hin und her, weil sich die ganze Bewegungsrichtung jetzt ändert. Die Wage, das Zeichen des Christus-Ich-Bin ist gleichsam das Richtunggebende und der Zielpunkt des ganzen Rhythmus. Hier hat sich der aus den Weltenhöhen herabgestiegene Christus ganz in die Erdenkräfte und in das Menschheitliche hineingestellt. Was jetzt sich vollzieht, liegt ganz im Irdischen, ist der Hinunterstieg in die Erdentiefen selbst, der sich im Mysterium von Golgatha vollzieht. Da geht es wieder hinunter nach den untern, dunklen Tierkreiszeichen, da ist die Richtung des Rhythmus jetzt nicht mehr diejenige des großen Weltenjahres, wie beim Herniederstieg aus den Weltenhöhen, sondern diejenige des irdischen Jahreslaufes.

   Wie die ersten fünf Kapitel des Johannes-Evangeliums als "Mysterien-Kapitel", die ihnen folgenden fünf als "Menschheits-Kapitel" eine in sich geschlossene Einheit, einen in sich zusammenhängenden Abschnitt bildeten, so werden wir jetzt das elfte und zwölfte Kapitel als etwas in sich Zusammengehöriges S86, als die beiden "Lazarus-Kapitel" betrachten. (Es sind auch die einzigen, in denen der Name "Lazarus" vorkommt). Wie im elften Kapitel auf das Begräbnis und die Erweckung, schauen wir im zwölften auf den "auferstandenen Lazarus" hin. Hat die Konstellation des vorigen Kapitels bis zu den Fischen, dem Zeichen der Auferstehung und Erweckung geführt (auch im Tagesrhythmus ist Fische das Zeichen, wo wir aufwachen, Widder das Zeichen, wo wir aufstehen), so liegt das den Erweckten vor uns hinstellende zwölfte Kapitel mit seiner Maria-Magdalenen-, seiner Jungfrauen-Abendmahls-Szene im Eingang deutlich in der Konstellation Fische-Jungfrau, in der Abendmahls-Konstellation.

   Diese Konstellation werden wir auch für die nächstfolgenden Abschieds-Kapitel, die so deutlich auf dem Hintergrunde des Christus-Abendmahls an uns vorüberziehen, und in ihren Eingang, in der Fußwaschung, so deutlich auf das Zeichen Fische hinweisen, noch maßgebend finden. Wiederum werden wir hier eine Fünfheit von Kapiteln als in sich zusammengehörig erkennen. Was ist das Neue, Gemeinsame dieser Kapitel?

   Zunächst werden wir, zurückschauend auf die beiden "Lazarus-Kapitel" (11+12) finden können, wie diese beiden in sich zusammengehörigen Kapitel wiederum "Mysterien-Kapitel" sind. Nachdem in den fünf ersten Johannes-Kapiteln die Begegnung des Christus mit den verschiedenen alten Mysterien und ihren Einweihungen geschildert war, wird im 11. und 12. Kapitel der Übergang von der alten zur neuen Einweihung vollzogen, dem alten, vorchristlichen Mysterium das neue, christlich-johanneische entgegengestellt. Es bilden diese beiden Kapitel das eigentliche zentrale Mysterium, das eigentliche Hauptstück des Johannes-Evangeliums. So wird durch diese beiden "Mysterien-Kapitel" kat'exochen die Fünfheit der ersten Mysterien-Kapitel zur Siebenheit ergänzt.

   Der gemeinsame Gesichtspunkt für die fünf nächstfolgenden, zunächst noch in der Abendmahls-Konstellation Fische-Jungfrau stehenden Kapitel (13-17) ist der, daß der Christus nunmehr, nach der Initiation und Erweckung des einen Jüngers, sich den anderen zuwendet, die die Initiation nicht finden konnten, die in der S87 Einweihung versagten, die im Begriffe sind, ihren Meister jetzt zu verlassen. Sie wissen es selbst noch nicht, aber gerade der Schluß der "Abschiedsreden" im 16. Kapitel enthält den deutlichen Hinweis darauf. Und nicht umsonst enthält schon das erste dieser Kapitel die deutliche Vorausverkündigung des Judas-Verrats und der Petrus-Verleugnung. Die Liebe des Christus, die dem einen Jünger gegenüber, dessen Geheimnis sich hinter der Lazarus-Geschichte verbirgt, als eine weckende Liebe sich erweisen konnte, offenbart sich den andern gegenüber als die tragende und bewahrende Liebe. Es handelt sich darum, daß diejenigen, die da, wo sie die Verbindung zwischen Christus und der Menschheit hätten bilden sollen, zunächst versagten, durch die tragende Liebe des Christus dennoch für ihre Menschheits-Zukunfts-Aufgabe aufbewahrt und behalten werden. In diesem Sinn sind diese fünf Kapitel, d.h. die vier eigentlichen Abschieds-Kapitel (Kapitel der Abschiedsreden Jesu, 13-16), denen sich als fünftes noch die große Fürbitte des "hohepriesterlichen Gebets" anschließt, "Jünger-Kapitel". Die Jünger mit ihrem ganzen Verhältnis zu Christus bilden hier den geistigen Mittelpunkt. Zum "Rhythmus" dieser im ganzen die "Abendmahls-Konstellation" tragenden Kapitel ist noch zu sagen, daß sich Gründe anführen lassen, die kosmische Lichtfülle des letzten dieser Kapitel, des in gewisser Beziehung doch für sich alleinstehenden 17. Kapitels, des am meisten esoterischen im Johannes-Evangelium, allein dem hellen Zeichen dieser Konstellation (Jungfrau) zuzuweisen, und von da aus dann den weiteren Fortgang des Rhythmus zu verstehen.


   Auf diese fünf "Jünger-Kapitel" folgt in den beiden Passions-Kapiteln (18+19) wiederum eine Zweiheit. Im Eingang des 18. Kapitels offenbart sich in dem Ich-Bin des Christus, vor dem die Häscher zu Boden stürzen, noch einmal das (auch im Rhythmus der Jungfrau folgende) Wage-Zeichen. Nachdem, vom 12. Kapitel an, in der Abendmahls-Konstellation (Fische-Jungfrau)

abermals ein Ruhepunkt erreicht war, geht es in der Christus-Passion nun wiederum durch die dunkeln Zeichen abwärts, und die Wage bildet zu diesem Hinabsteigen wiederum den Übergang.

S88 Auf die, auch im Rhythmus der Tierkreiszeichen sich offenbarende, genaue Entsprechung der Lazarus-Vorgänge und der Christus-Passion wurde bereits hingewiesen.


   Dem Ich-Bin des Christus im Zeichen der Wage steht erschütternd tragisch gegenüber das Ich-bin-nicht des Petrus im Zeichen Skorpion (Joh. 18,17.25. ME317). Auch das Ecce homo im Eingang des 19. Kapitels werden wir noch dem Skorpion zuordnen (ME338), die Kreuzigung selbst steht dann, wie immer, im Todeszeichen des Schützen, die Grablegung im Wassermann.

   Wie durch die beiden Lazarus-Kapitel die Fünfheit der ersten "Mysterien-Kapitel" zur Siebenheit ergänzt wird, wo durch die beiden Passions-Kapitel die Fünfheit der "Menschheits-Kapitel" (6-10). Die in jenen Kapiteln (6-10) so erschütternd hingestellte "Menschheits-Krisis" findet in Golgatha ihre Lösung: Der Steinwurf der Juden (cap.7;8;10) trägt das Kreuz von Golgatha schon mit schicksalsmäßiger Konsequenz in sich. Das Selbstopfer des Gottes löst die Krisis, die das im lebenden Christus Jesus unter die Menschheit sich hinstellende Ich, das diese Menschheit nicht mehr zu ertragen vermochte, erweckt hatte.

   Die beiden letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums, die Auferstehungs-Kapitel (20+21) führen dann wieder in die Abendmahls-Konstellation Zwillinge-Jungfrau. Mit den Fischen, über deren Beziehung zur Auferstehung schon gesprochen wurde, verbindet sich hier schon im Eingang des ersten der beiden Kapitel in der Erscheinung der Maria Magdalena deutlich die Jungfrau, ebenso weist das Speisungserlebnis am Schlusse des 21. Kapitels mit Brot und Fischen deutlich auf die Abendmahls-Konstellation hin. Das Johannes-Evangelium endigt in derselben Konstellation, mit der es (vom "kosmischen Auftakte" abgesehen), begonnen hat. Immer, so sahen wir, bewegt sich der Rhythmus dieses Evangeliums im wesentlichen in den fünf unteren, dunkeln Tierkreiszeichen: nachdem der in der Richtung des Weltenjahres nach abwärts dringende Rhythmus in der Wage die Mitte erreicht hat, wendet er sich in entgegengesetzter Richtung (jetzt also dem gewöhnlichen Jahres-Rhythmus S89 folgend) wieder den dunkeln Zeichen bis zu den Fischen zu, und dieses (zuerst mit dem Lazarus-Geschehen) verbundene Heruntersteigen wiederholt sich dann in der Passion des Christus. So geht es zweimal vom Mittelpunkte wieder nach abwärts. Nicht ein Kreislauf, wie der Rhythmus des Markus-Evangeliums, sondern ein Pendelschwung ist der Rhythmus des Johannes-Evangeliums. Und wir mögen, wenn uns Markus, der Löwe, an den Blutkreislauf erinnern kann, bei Johannes, dem Adler, an den "Flügelschlag des Adlers" denken.

   In den beiden letzten, den Auferstehungs-Kapiteln stehen wieder die Jünger im Mittelpunkt. Die tragende und bewahrende Liebe des Christus (Joh.13-17) hat denen, die den Lebenden nicht erkannten, die ihn verließen, das Wiedersehen nach dem Tode, die Begegnung mit dem Auferstandenen ermöglicht. Das da Erlebte der ersten Mysterien-Kapitel (1-5) durch die beiden Lazarus-Kapitel (11+12), die Fünfheit der Menschheits-Kapitel (6-10) durch die beiden Passions-Kapitel (18+19) zur Siebenheit ergänzt wird, so findet die Fünfheit der Jünger-Kapitel (13-17) durch die beiden Auferstehungs-Kapitel ihre Ergänzung zur Siebenheit.

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Das Folgende behandelt zentral das Thema aus  3a-f Das individuelle Prinzip "Das individuelle Prinzip" aus dem unerschöpflichen Reichtum christologischer Forschung:

 

"Das Johannes-Evangelium und die andern Evangelien,
vom kosmischen Rhythmus betrachtet"


5. Kapitel aus Hermann Beckh: "Der kosmische Rhythmus - das Sternengeheimnis und Erdengeheimnis im Johannes-Evangelium (Rudolf Geering Verlag Basel 1930)

Anmerkungen mit der Abkürzung "ME" verweisen auf das gleichnamige Buch über das Markus-Evangelium 


S90   Dem Blutkreislauf des Herzens konnten wir den Rhythmus des "Löwen" Markus, mit dem Kreislauf seiner immer durch alle zwölf Tierkreiszeichen hindurchführenden "drei Runden" vergleichen, dem Flügelschlag des Adlers den Rhythmus des Johannes-Evangeliums, der durch die dunkeln Tierkreiszeichen nach abwärts führt und dann von der Mitte, der Wage, aus durch dieselben dunkeln Tierkreiszeichen zurückschwingt. Das lenkt den Blick auf die ganzen Verschiedenheiten, und die in dieser Verschiedenheit wiederum sich offenbarenden gegenseitigen Beziehungen der vier Evangelien.

 

   Im Mittelpunkt aller Betrachtungen steht die schon im Anhang des Markus-Buches (S376) gegebene Tierkreis-Figur. Sie ist im Anhang dieses Buches nochmals abgedruckt. Die zweite, dem Buche von Dr.Guenther Wachsmuth über die ätherischen Bildekräfte (Bd.2 "Die Ätherische Welt in Wissenschaft, Kunst und Religion" Dornach 1927S15) entnommene Figur veranschaulicht dann insbesondere durch den Farbendruck die Eigenart der vier Dreiecke, in die sich die Zwölfheit des Tierkreises auseinanderlegt, in ihrer Beziehung zu den "vier Elementen" und den vier Ätherarten (Wärmeäther, Lichtäther, chemischer oder Klang-Äther, Lebensäther). Diese Vierheit spiegelt sich auch in der Vierheit der biblischen Evangelien. Die Beziehung der vier Himmels-Dreiecke, einmal erkannt, leistet für eine tiefere Evangelien-Erklärung mehr als alle möglichen anderen Gesichtspunkte. In der dritten Figur des Anhangs ist dann die farbige Andeutung des Unterschieds der 4 Ätherarten ein nur ideelle (rot Wärmeäther, gelb Lichtäther, blau chemischer oder Klangäther, violett Lebensäther) und mit dem Inhalte der Figur 1 verbunden, die "drei Kreuze" sind dabei nicht mehr durch die Farbe, sondern nur durch Linien und Punkte unterschieden (Alles Weitere siehe im Anhang des Markus-Buches S351ff).
   Der Gesichtspunkt der vier Elemente und Ätherarten läßt sich auch mit demjenigen der vier Temperamente verbinden, wobei aber gerade in der Anwendung auf das Evangelium nicht zu äußerlich verfahren werde. Wie im wirklichen Leben, verbinden und überkreuzen sich auch hier in verschiedener Art die Temperamente. Endlich gibt es einen schon von Rudolf Steiner hingestellten Gesichtspunkt, der die Vierheit der Evangelien mit der Viergliederung des Menschenwesens in eine Beziehung bringt, und zwar das Matthäus-Evangelium zur Wesenheit des Physischen, das Markus-Evangelium zum Ätherischen, das Lukas-Evangelium zum Astralischen, das Johannes-Evangelium zum Ich. Wie sich diee "vier Wesensglieder" des Menschen wechselseitig durchdringen und zusammen ein Ganzes bilden, so auch die vier Evangelien. Auch in ihnen und ihrer Vierheit schauen wir das Umfassende des Menschenwesens, das ewige Evangelium an.

***

   Der aus den Stoffen der Erde gebildete physische Leib des Menschen ist dasjenige Wesensglied des Menschen, durch das er mit der Erde verbunden ist, der Erdenstofflichkeit und den Erdenzusammenhängen angehört. In diesem Sinne ist auch das Evangelium des Matthäus dasjenige, bei dem vor allem die irdische Gestalt des Jesus von Nazareth im Mittelpunkte steht, und die irdisch-historischen Zusammenhänge, auch diejenigen des Neuen mit dem Alten Testamente, berücksichtigt sind. In diesem Sinne treten auch die Gesichtspunkte des Judentums und seines Hinschauens auf die physischen Zusammenhänge und Gesetzlichkeiten bei Matthäus besonders hervor, andererseits auch die Gestalt des Apostels Petrus, des "Felsens der Kirche" und Träger der sichtbaren Kirche (des Vertreters des sichtbaren S92 physischen Leibes der Kirche, ebenso wie Johannes ein Träger der unsichtbaren Kirche, des esoterischen Christentums ist). Das Matthäus-Evangelium bezieht sich, wie der "physische Leib" des Menschen, vor allem auf die Welt des Sichtbaren.


   Der als "Farben-Aura" nur dem Auge des Hellsehers wahrnehmbare, in seiner geistigen Wesenheit aber auch vom Denken zu erfassende, mit der Wesenheit des Denkens selbst in inniger Beziehung stehende ätherische Leib oder "Lebensleib" des Menschen, das "Sonnen-Kleid" im Märchen von "Allerleirauh", ist das dem Kosmischen zugeordnete Wesensglied des Menschen, dasjenige, das ihn nicht, wie der physische Leib, mit dem Irdisch-Physischen der Erde, sondern mit der "Erden-Aura", mit der Welt des Ätherisch-Lebendigen in Pflanze, Mensch und Tier, mit dem Lebendigen im ganzen Kosmos verbindet. Nicht aus den bloßen räumlichen Verhältnissen des Irdischen heraus ist dieser "ätherische Leib" zu verstehen, sondern aus dem Kosmischen, aus dem Wesen und Wirken der Sternenwelten und ihrer Gesetzlichkeiten und kosmischen Rhythmen in das Werden und Wachsen des Pflanzenwesens, in das Wesen aller zeitlichen Entwicklung. Als ein kosmisches "Zeitwesen", nicht nur als ein irdisches Raumeswesen ist in diesem Sinne der Äther- oder Lebensleib aufzufassen.


(In dem Büchlein "Der Ursprung im Lichte" ist S17ff aus den Geheimnissen der biblischen Schöpfungsgeschichte heraus und unter Hinweis auf Goethes Urpflanze von diesem Wesen des Pflanzlich-Ätherischen und von der Möglichkeit,   

aus den Entwicklungsvorgängen des Pflanzen-wachstums heraus das Wesen des Ätherischen zu verstehen, die Rede. Siehe auch hier in Kapitel.3e Ursprung im Lichte I (Beckh) und 3f Ursprung im Lichte II (Beckh).


   Dieselbe Hinordnung zum Kosmischen und seinen Rhythmen hat unter den vier Evangelien dasjenige des Markus. Selbst beim Johannes-Evangelium ist dieser "kosmische Rhythmus" nicht so offensichtlich,   da  wird  er  gewissermaßen erst durch das Hinschauen auf das Markus-Evangelium, auf alle die verschiedenartigen Beziehungen, die gerade das Markus-Evangelium und Johannes-Evangelium miteinander verbinden, gefunden. S93

   Wie das Markus-Evangelium dem Ätherischen ist das Lukas-Evangelium dem Seelisch-Astralischen des Menschen zugeordnet. Im Märchen von Allerleirauh erscheint der "astralische Leib" als das "Mondenkleid", das wie das "Sonnenkleid" und das "Sternenkleid" in einer Nußschale geborgen werden kann, d.h. von ganz feiner, zarter, überirdischer Natur ist. Aus der Wesenheit des Sternenhaften, des Mondenhaften und Planetarischen zunächst, ist dieser "astralische Leib" des Menschen gewoben. Wie der Mensch den physischen Leib, das "Kleid aus Tierfellen" im Sinne des Märchens, mit Tier, Pflanze und Stein, den Ätherleib mit Tier und Pflanze gemeinsam hat, so hat er den astralischen Leib, den Träger der bewußten Empfindung, des eigentlich Seelischen, noch mit den Tieren  gemein,  von denen  ihn das Ich,  als das  Selbstbewußt-Menschliche,


(Vgl. dazu und über den Zusammenhang der einzelnen Wesensglieder des Menschen mit den einzelnen Stufen der Weltentwicklung ("Saturn", "Sonne", "Mond" im kosmogonischen Sinne der "Geheimwissenschaft") auch die Fußnote "Markus-

Evangelium" 86. Das "Mondenkleid" des Märchens, der astralische Leib, ordnet sich auch in diesem Sinne dem "Mond", das "Sonnenkleid" der "Sonne" und "Sonnen-Entwicklung" zu)


unterscheidet. Natürlich ist das Seelische, die bewußte Empfindung, beim Menschen, weil Ich-durchwoben, anders als beim Tier. Beim Tier ist sie dumpfer, andererseits - man denke an das wunderbare rhythmische Erleben der Zugvögel - kosmischer. Das "Astralische", das eigentlich Sternenhafte tritt da noch mehr hervor. Beim Menschen ist dieses Sternenhafte, dieses "Astralische" durch das Erdenhafte, durch das niedere Ich getrübt.


Weist uns der Ätherleib mehr auf das Kosmisch-Äußere, so der Astralleib mehr   auf  das  Seelisch - Innere, die "innere Sternenwelt". Diese Inner-

lichkeit, hat man bei Lukas immer als etwas Wesentliches empfunden.


   Wie das Matthäus-Evangelium dem Physischen, das Markus-Evangelium dem Ätherischen, das Lukas-Evangelium dem Astralischen des Menschenwesens in einer gewissen Weise zugeordnet ist, so das Johannes-Evangelium dem Innersten des Innern, dem Ich. Das Johannes-Evangelium ist das Ich-Evangelium kat'exochen, die große Botschaft vom Ich, wobei S94 wir aber das "Ich" in jenem hohen und göttlichen Sinn nehmen müssen, den wir eigentlich erst wieder aus dem Johannes-Evangelium lernen. Wie von den Geheimnissen dieses Ich als eines neuen, zunächst nur im Keim, in der Anlage vorhandenem Wesensgliedes der Menschheit das Johannes-Evangelium in allen seinen Kapiteln von immer wieder neuen Gesichtspunkten spricht, soll im nächsten Kapitel gezeigt werden. In den großen Ich-Bin-Worten des Christus, in denen alle Zukunfts-Entwickelung der Menschheit beschlossen ist, hat dieses Ich-Geheimnis seinen konzentriertesten Ausdruck gefunden. Wir sahen dieses große Ich, dieses Ich-Bin des Christus dem Himmelszeichen der Wage zugeordnet, demselben Zeichen, das planetarisch von Venus Urania, von der himmlischen Liebe, beherrscht wird. Venus in der Wage als die Liebe im Ich ist das beherrschende Motiv des ganzen Johannes-Evangeliums. Man hat dieses Ich, diesen johanneischen Sinn des Ich erst verstanden, wenn man erkennt, wie in ihm das Innerste des Innern sich mit dem ganzen Welten-Umkreis, dem Sternen-Umkreis aller Welten liebevoll zusammenschließt. Wie in der Sprache des Märchens der physische Leib das "Kleid aus Tierfellen" (der "Mantel aus allerleih Rauhwerk"), der ätherische Leib das "Sonnenkleid", der astralische Leib das "Mondenkleid", so ist das Ich das Sternenkleid, das aus den Strahlen aller Sterne gewoben ist, und doch, wie das Sonnenkleid und das Mondenkleid, in einer Nußschale geborgen werden kann. Zum Physischen als dem Erdenkleid des Leibes, dem Ätherischen als dem Sonnenkleid des Lebens, dem Astralischen als dem Mondenkleid des Lichtes kommt als Viertes in der Menschenwesenheit, diese damit erst zur wahren Menschenwesenheit erhebend, hinzu das Ich als das Sternenkleide der Liebe.


   Es schließen sich diese der Sprache des Märchens entnommenen Bilder wirklich mit dem Innersten des Johannes-Evangeliums zusammen. Wir brauchen nur an den Eingang (oder "kosmischen Auftakt") zu denken, und finden dort, wenn wir das Wort im Urbeginn mit der "Liebe im Urbeginn" (Dante: il primo Amore), die Fleischwerdung des Wortes (V14) S95 mit der physischen Leiblichkeit verbinden, die ganze Viergliederung des Menschenwesens, von der wir in dieser Betrachtung ausgegangen sind, als Leib, Leben (V4), Licht (V5), Liebe. Und gedenken dabei des Novalis-Wortes: "Liebe ist also das Ich, das Ideal jeder Bestrebung".

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   Von den "vier Wesensgliedern" gibt es wieder Verbindungslinien zu den "vier Elementen" und Ätherarten: am inneren Feuer (am Wärmeäther) entzündet sich das Ich, das Astralische hat die Beziehung zum Lichthaften, "Lichtätherischen", der Ätherleib zum Klangäther (der schon bei den Indern der Äther kat'exochen war), der physische Leib zum Erdenelement und zum Lebensäther.  

Aus der Dreiecksfigur im Anhang wird dieses alles deutlich (hier am Schluß). Markus, so sehen wir, hat das Element des Blutkreislaufes, er gehört zum Feuerelement, zum Dreieck des Wärmeäthers. Unter den Temperamenten würde hier das cholerische entsprechen, auf das der gedrungen-herzhafte Stil des Markus-Evangeliums in einem gewissen Sinne ja auch hinweist.


   Von den drei Ecken des Markus-Trigons gehört die des Löwen dem "Kreuze des Geistes", dem "astralischen Kreuz", die untere im Schützen dem "Kreuz des Sohnes", dem "ätherischen oder Christus-Kreuz an, die dritte Ecke beim Widder dem "Kreuze des Vaters", dem physischen oder Erden-Kreuz (Siehe über alle diese Unterscheidungen M.E.351ff - Neuere Astrologie bezeichnet diese drei Kreuze im Tierkreis vielfach mit einer indischen, der Sankhyaphilosophie entnommenen Ausdrucksweise als das Tamas-, Sattva- und Radschas-Kreuz. Die hier gebrauchte christliche Ausdrucksweise entspricht insofern zugleich der indischen, als die Inders selbst Rajas (spr. Radschas) mit Brahma, Sattva mit Wischnu, Tamas mit Schiwa in Zusammenhang bringen, wobei die Trinität Brahma, Wischnu, Schiwa als die indische Parallele der christlichen Trinität erscheint.)


   Planetarisch sind die drei Ecken des Markus-Dreiecks, wie aus dem Planeten-Kapitel zu ersehen ist, beherrscht von Sonne (im Löwen), Mars (im  Widder),  Jupiter (im Schützen), so daß wir auch von hier S96 aus verstehen können, warum Markus der eigentliche Darsteller des Sonnen-Rhythmus ist.


    Das Feuerelement oder der "Wärmeäther", von dem wir hier in der Betrachtung als dem Markus-Element ausgehen, verdichtet sich nach unten zum Luftelement, sublimiert sich nach oben zum Lichtätherischen (für alle hier berührten Tatsachen des Ätherischen wird auf die öfter erwähnten Bücher von Dr. Guenther Wachsmuth verwiesen), so daß also Luftelement und Lichtäther in einem gewissen Zusammenhang stehen. Das "Luft-Dreieck" oder Dreieck des Lichtäthers ist das in Fig. 1+3 im Anhang aufrecht (mit der Spitze Zwillinge nach oben) stehende. Durch seine Ecke im Wassermann (das ist der "geistige Urmensch", der "Mensch der Urbeginne") ist es das Dreieck des Matthäus-Evangeliums. Dieses dem "Kreuze des Geistes" - oder des Astralischen - angehörige Zeichen ist, wie im Planeten-Kapitel erörtert, von Saturn-Uranus beherrscht; die beiden anderen Ecken werden durch das Merkur-Zeichen Zwillinge (im "Kreuz des Ätherischen") und durch das Venus-Zeichen Wage im Erdenkreuz gebildet. Das ganze Dreieck, das wir auch als das "Dreieck des Menschen" bezeichnen können, ist, wie oben erwähnt, in einem gewissen Sinne das Uranus-Trigon.


   Wie der Mensch (anthropos - "der nach den Höhen Blickende") die Stirn zu den Sternen erhebt, so ist auch dieses Matthäus-Dreieck des Menschen mit seinem Zenith im Höhen-Zeichen der Zwillinge und des "heiligen Berges" dem oberen Sternhimmel, dem Uranos zugewendet. Es ist daher von Bedeutung, wie über dem Eingang des Matthäus-Evangeliums der Stern von Bethlehem steht, der die morgenländischen Priesterweisen und Astrologen zur Geburtsstätte des Weltheilands führt. Das ist um so bemerkenswerter, als sonst im Evangelium - mit Ausnahme jenes "apokalyptischen Kapitels" (Mark13=Matth24=Luk21), das wie eine Vorausnahme der wieder den vollen Aufblick zum Sternhimmel bringenden Apokalypse aufzufassen ist - von den Sternen nicht unmittelbar die Rede ist. Selbst das Johannes-Evangelium,so sehr es auch in seinem inneren geistigen Wesen als das Ich-Evangelium S97 zugleich das eigentliche Sternen-Evangelium ist, hat das Wort "Stern" nicht ein einziges Mal. Vielleicht können wir sagen: das in seinem Trigon vom Uranus, vom oberen Sternhimmel beherrschte Markus-Evangelium läßt - in jener Geschichte des Sternes von Bethlehem - noch einmal die alte Astrologie hereinragen, während das Johannes-Evangelium die aus dem Ich zu entwickelnde neue Astrologie, die "Astrologie des Ich" enthält.

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   Wärmeäther und Lichtäther, deren Trigonen das Markus- und das Matthäus-Evangelium sich zuordnen, sind die beiden "unteren Ätherarten", das Element des Männlichen; die beiden andern, Klangäther (oder: chemischer Äther) und Lebensäther, die "oberen Ätherarten", das Element des Ewig-Weiblichen


(Wir entnehmen dem Buch von Dr.Guenther Wachsmuth (Bd2,S77f) das Folgende: "Beim männlichen Menschen sind nun im Leiblichen am unteren Pol die aktiven, ausstrahlenden Bildekräfte, beim weiblichen Menschen die einsaugenden, gleichsam passiven Bildekräfte zum Aufbau und zur Funktion des Organismus verwendet. Der männliche Organismus verwendet also im Leiblichen mehr die Bildekräfte des Licht- und Wärmeäthers, der weibliche Organismus mehr die Kräfte des chemischen und Lebensäthers... Urgesetz aller Lebewesen ist, daß... diejenigen Bildekräfte, die nicht zu leiblichen Funktionen im Organismus verbraucht werden, als freie Kräfte den geistig-seelischen Funktionen dienen können... Der männliche Organismus ist so veranlagt, daß am leiblich-schöpferischen Pol wirken: Wärmeäther und Lichtäther, geistig-schöpferischen Pol wirken: chemischer und Lebensäther; der weibliche Organismus ist so veranlagt, daß am leiblich-schöp-

ferischen Pol wirken: chemischer und Lebensäther, am geistig-schöpferischen Pol wirken: Lichtäther und Wärmeäther, oder auch: beim männlichen Wesen ist im Geistig-Seelischen tätig ein weiblicher Ätherleib, beim weiblichen Wesen ist im Geistig-Seelischen tätig ein männlicher Ätherleib. Nur die im Übersinnlichen liegende Synthese des männlichen und weiblichen ätherischen Leibes ergibt geistig die Synthese aller ätherischen Kräfte, und wenn der Mensch in seinem geistigen Wirken an seinem oberen Pol, dem Bewußtseinspol, alle ätherischen Kräfte vereinigt, kann er die im außermenschlichen Kosmos waltende Harmonie auch in sich erzeugen... Die 'Erbsünde', die Spaltung in zwei Geschlechter, wirkt fort in der Spaltung der ätherischen Bildekräfte und ihrer Funktionen im Menschen." Es werden diese Sätze hier angeführt, weil sie mit den tieferen Hintergründen gerade des Johannes-Evangeliums einen Zusammenhang haben.


S98 Da könnte man auf den Gedanken kommen, es sei das Johannes-Evangelium, als das "höchste Evangelium", dem Lebensäther, als dem "höchsten Äther" zuzuordnen. Immer wieder zeigen die Tatsachen, wie abstrakte Schlußfolgerungen dieser Art in die Irre führen, denn in Wirklichkeit liegt die Sache anders: dem höchsten Äther, dem Lebensäther, ordnet sich das (in der Figur violette) Trigon des Lukas-Evangeliums zu, während das (in der Figur blaue) Trigon des chemischen oder Klang-Äthers dasjenige des Johannes-Evangeliums ist.


   Wohl ist das Johannes-Evangelium das höchste Evangelium, der Lebensäther der höchste Äther. Hier entscheidet aber ein anderer Gesichtspunkt. Der chemische oder Klang-Äther ist nicht der höchste, aber der wirksamste Äther. Als "alchymistischer" Äther enthält er die magische Kraft der Stoffgestaltung und Stoffverwandlung, der Erdenverwandlung, die auch das Element des Johannes-Evangeliums ist. Dieses ist zugleich das Evangelium des Weltenwortes und der Weltenharmonie, des Welten-Musikalischen, wie der chemische Äther zugleich der Klangäther ist: im Klang liegt ursprünglich die stoffgestaltende, stoffordnende, stoffdifferenzierende Kraft, wie sie sich im Schöpfungskapitel der Genesis so gewaltig offenbart. Nichts ist verständlicher, als daß das Johannes-Evangelium und die Wesenheit des chemischen oder Klang-Äthers innerlich zusammengehören, nichts kann aus okkulten Hintergründen heraus so tief den Charakter dieses Evangeliums beleuchten.


   Dem Lebensätherischen aber ordnet sich das Lukas-Evangelium zu, nicht, weil es das höchste, aber weil es das intimste Evangelium ist, das Evangelium das vor allem die intimen Geheimnisse des Ewig-Weiblichen, dem der Lebensäther angehört, die Geheimnisse der Jungfrau und Mutter zum Inhalte hat. Schon die Geburtsgeschichten im Eingang weisen darauf hin. Mit dem "Geheimnis der Jungfrau und Mutter" verbindet sich im Trigon dieses Evangeliums das Zeichen der Jungfrau im Kreuz des Ätherischen, im Christuskreuz, während das Saturn-Zeichen Steinbock im Erdenkreuz auf das Weihnachtsgeheimnis (Steinbock ist das Weihnachts-Zeichen), das Venus-Zeichen auf das Weibliche der Erde hinweist. (Auf andere Zusammenhänge S99 des Lukas-Evangeliums mit den Geheimnissen des Weiblichen ist ME371 hingewiesen). Und des öfteren findet die vergleichende Evangelienforschung, wie intimste Fragen des Evangeliums, auch des Johannes-Evangeliums, nicht in diesem, sondern im Lukas-Evangelium ihren Schlüssel finden (vgl. ME308).


   In der Beziehung zum höheren Äther liegt ein esoterisches Moment des Lukas- und Johannes-Evangeliums. Demgegenüber enthalten Matthäus- und Markus-Evangelium, deren Trigone sich den niederen Ätherarten (Lichtäther und Wärmeäther) als dem Elemente des Männlichen zuordnen, das Exoterische. Man beachte, wie in der Geburtsgeschichte des Matthäus-Evangelium der Vater, in derjenigen des Lukas-Evangeliums die Mutter im Vordergrund steht. Wir können diese beiden "Jesus-Evangelien" als das Evangelium des Vaters und dasjenige der Mutter unterscheiden. Der zusammenfassende Gesichtspunkt für das Markus- und das Johannes-Evangelium ist demgegenüber der, wie beide, unter Ausschluß der Jugendgeschichte Jesu, nur die drei Jahre des Christus-Erdenlebens erzählen. Dabei ist das Johannes-Evangelium das eigentliche Christus-Evangelium. Das Markus-Evangelium mit seiner Schilderung der johanneischen Einweihung eine Art Vorstufe, so wie in anderer Beziehung, vom Gesichtspunkte des "Jesus-Evangeliums", das Matthäus-Evangelium eine Vorstufe des Lukas-Evangeliums ist.

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   Das dem Johannes-Evangelium sich zuordnende Trigon des chemischen oder Klang-Äthers gilt einer älteren Bezeichnungsweise als das "Wasser-Trigon". (Wie zum Lichtäther nach unten hin die Luft, gehört zum Klang-Äther das Wasser, zum Lebensäther die Erde, d.h. zum obersten der Äther das unterste der Elemente.) Von den drei Ecken dieses Trigons gehört die Spitze, das Monden-Zeichen Krebs, dem Erdenkreuz an. Verwandlung der Erde, Erden-Alchimie erkannten wir als den johanneischen Sinn dieses Zeichens. Im "ätherischen Kreuz", im Christus-Sohnes-Kreuz liegt das Jupiter-Zeichen und Christus-S100-Sonnen-Zeichen Fische. In diesem Zeichen spricht sich vor allem aus, daß das Johannes-Evangelium das Christus-Evangelium ist. Die dritte, die eigentlich esoterische Ecke dieses Trigons liegt beim Skorpion, der einst der Sonnen-Adler war, durch Johannes wieder in den Adler verwandelt wird (über den Sinn dieser imaginativen Ausdrucksweise siehe M.E. 127ua.). Das ganze Geheimnis der christlich-johanneischen Einweihung, die Überwindung der Todesmacht spricht sich in dieser Verwandlung aus. So ist dieses am meisten kritische aller Zeichen, das "Todes-Zeichen", zugleich auch wiederum das höchste, geheimnisreichste, erst auf der höchsten Stufe der johanneischen Einweihung in seinem höchsten Sinne sich offenbarende. An dieser Ecke des Tierkreises steht Johannes als der Adler-Evangelist, während andererseits die Überwindung des Skorpion-Todes-Stachels in der Jungfrau ihren Ausdruck findet, die aber nicht, wie der Skorpion-Adler, dem johanneischen Trigon angehört. Planetarisch ist der Skorpion (s.das Planeten-Kapitel) von Mars beherrscht. Überwindung des Todesstachels ist zugleich Überwindung der Mars-Dämonie.

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   Der Gesichtspunkt der Temperamente, der bei "Markus dem Löwen" auf das Cholerische führte (Feuer-Element, Wärme-Äther), würde, äußerlich schematisch angewendet, bei Johannes auf das dem Wasser-Element entsprechende Phlegma führen, und man mag an die dem "Ich-Evangelium" ja entsprechende "Ruhe im Ich" dabei denken. In Wirklichkeit möchten wir ihn eher als Melancholiker - freilich in einem sehr gewandelten und hohen Sinne dieses Wortes - empfinden. Natürlich liegt im Wesen jedes Einweihungspfades, nicht zum wenigsten des christlich-johanneischen, die Harmonisierung aller vier Temperamente. Schon im Johannes-Namen (M.E.46,56) konnten wir ja das auf die universale kosmische Harmonie aller zwölf Himmelszeichen Abgestimmte finden. Das Individuell-Schicksalsmäßige der einzelnen Temperamente wird durch die johanneische Einweihung in der vollkommensten Weise überwunden. Aber ein intimer Zug liegt darin, wie auch der Überwinder von S101 Bethanien in seinem ganzen Bilde und Wesen noch eine leise Erinnerung an die den einstigen "Siechen" überschattende tiefe Schwermut an sich trägt (M.E.223,225,280). Das damals Durchlittene hat sich tief seinem ganzen Wesen eingeprägt. Zu all dem kommt als Abschluß das Miterleben und Miterleiden der ganzen Christus-Passion, das Stehen unter dem Kreuz. Alles Menschheits-Leiden und alle Menschheits-Tragik hat der Christusjünger da miterlitten. Wer in solche Hintergründe des Lebens, in solche Abgründe des Leidens geblickt hat, wird in aller Harmonie seines Wesens, nur dem intimeren Blick erkennbar, immer noch jenen leisen Zug von Melancholie tragen, der für die Johannes-Bildnisse des Lionardo da Vinci so charakteristisch ist. Der "schwermütige Blick der Liebe", den Friedrich Nietzsche in Wagners Parsifal-Vorspiel zu finden glaubte - vgl. des Verfassers Schrift "Das Parsifal-Christus-Erlebnis" S20f - ist etwas Tief-Johanneisches. Auch im Johannes-Evangelium selbst kann dieser leise Zug einer geheiligten Melancholie überall, am ergreifendsten wohl in den "Abschiedsreden Jesu", bemerkt werden.


   Nicht der Melancholiker im gewöhnlichen Sinn des Wortes, sondern gerade der das melancholische, das sprödeste, am schwersten umzuwandelnde aller Temperamente doch in ein höheres verwandelt, steht in Johannes vor uns. Als das Erden-Temperament weist die Melancholie auf das Erden-Element hin. Fragt man, durch welche Kräfte der Johannes-Jünger dieses Erdenhafte des melancholischen Temperaments verwandelt und überwunden hat, so kommt man wieder auf die verwandelnden Kräfte des Klangäthers und Wortäthers, des chemischen, alchymischen, magischen Äthers. Dann wird einleuchtend, wie sich der Gesichtspunkt des Erden-Temperamentes mit dem des Wasserelements (dessen Sublimierung der chemische oder Klang-Äther ist) innerlich verbindet. Überwall erweist sich gerade dieser Äther, der chemische oder Klang-Äther, als das eigentlich johanneische Element.

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S102  Ein letzter Gesichtspunkt läßt uns die Vierheit der Evangelien wie mit der Viergliederung des Menschenwesens, mit der Vierheit der Elemente und der Temperamente, mit der Vierheit der Ätherarten, so auch mit dem viergliedrigen dramatischen Aufbau des großen kosmischen Gesprächs, das sich im ewigen Meßopfer zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen vollzieht, verbinden. Von den vier Hauptteilen des Meßopfers (die als solche auch in der Menschen-Weihehandlung der Christengemeinschaft, als der heutigen zeitentsprechenden Form des Meßopfers wiederum vorhanden sind): Evangelium, Opferung (Offertorium), Wandlung (Transsubstantiation) und Kommunion weist der erste Teil, das Evangelium, in einem besonderen Sinne auf das Johannes-Evangelium als das eigentlich Wort-Evangelium, die am meisten an das "ewige Evangelium" hinreichende Erscheinungsform des Evangeliums hin. Der Eingang dieses Evangeliums insbesondere: "Im Urbeginne war das Wort..." kann als das Evangelium aller Evangelien empfunden werden. Das Markus-Evangelium mit seinem Aufblick zum Kosmischen erweckt dann das Bild des kosmischen Opferaltars, der Opferung. Über dem Lukas-Evangelium mit seinen Geheimnissen des Ewig-Weiblichen liegt das Kelch-Geheimnis der Transsubstantiation in einem besonders intimen Sinne. (Wir erinnern uns, wie im Grals-Mysterium der Kelch das weibliche, die Lanze das männliche Symbol ist.) Auch von diesem Gesichtspunkt aus schafft das Lukas-Evangelium intime Möglichkeiten des Verständnisses. Die "Kommunion" endlich werden wir vor allem im Matthäus-Evangelium finden, in der Art, wie es uns in der Betonung der irdischen Jesus-Gestalt auf die Vereinigung, die Kommunion des Göttlichen mit dem Menschlichen hinweist.


   Es zeigt diese Betrachtung, wie in gewisser Beziehung jedes der Evangelien das höchste Evangelium ist, wie sie sich gegenseitig ergänzen und tragen. Das Johannes-Evangelium ist das höchste Evangelium als das Ich-Evangelium und das eigentliche Christus-Evangelium, das Lukas-Evangelium, als das "Evangelium der Mutter", ist das intimste Evangelium, das Markus-Evangelium ist das vor allem kosmische S103 Evangelium, das Matthäus-Evangelium das vor allem menschliche, das Evangelium des Menschen, das als das "Evangelium des Sternes" zugleich den astrologischen, den Uranus-Gesichtspunkt hat.

Beckh, die 4 Evangelien

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6. Das Johannes-Evangelium als die Christus-Botschaft vom Ich

 

Dies aber ist das Leben der Ewigkeiten, daß sie Dich (Vater)

als das in der All-Einheit des nie verlöschenden Bewußtseins ruhende Göttliche, und den aus Deiner Sternen-Strahlung entsandten heilenden Jesus

als den Christus erkennen - Joh17.3

 

S104   Als das Christus-Evangelium und Ich-Evangelium hat das Johannes-Evangelium zum wesentlichen Inhalt die große Botschaft, die Christus-Botschaft vom Ich. Aber nicht so, wie die Welt dieses Ich heute versteht. Sondern das Ich, das Christus meint, ist das verlorene oder vergessene göttliche Selbst des Menschen, das Göttliche im Menschen, das heute nur erst wie die Keimanlage eines neuen, werdenden, zukünftigen "Wesensgliedes" - die biblische Sprache nennt es öfter "des Menschen Sohn" - in ihm schlummert. Auch handelt es sich bei dieser "Botschaft" - und Evangelium heißt doch Botschaft - nicht um eine theoretische Mitteilung oder abstrakte Lehre. Das Wesentliche, wie Christus vom Ich-Geheimnis spricht, ist gerade dieses, daß er nicht sagt, nicht zu sagen braucht: "Das Ich (oder: das Ich-Bin) ist das Licht der Welt", sondern einfach sagt und sagen kann: "Ich bin das Licht der Welt", sowie auch wir einfach und schlicht mit "ich" in der ersten Person von uns reden. Nicht als abstrakter Begriff, wie bei vielen mystisch-gnostischen Theoretikern, sondern in lebendiger Unmittelbarkeit spricht das große Welten-Ich aus Christus und durch Christus (durch den Christus-Jesus), wenn er "ich" sagt. Das ist das Weltgeschichtlich-Einmalige bei S105 Christus. Gewiß sprach aus ihm dasselbe Wesen, das sich dem Moses im brennenden Dornbusch offenbarte: "Ich bin der Ich bin" (ejeh asher ejeh), ägyptisch: "Ich bin alles, was da ist, was da war, was da sein wird". Der Mensch hat heute nur vergessen, oder ist sich dessen nicht mehr bewußt, wie eigentlich in jedem "ich" - man denke vor allem an den Augenblick, wo das Kind zum erstenmal "ich" sagt - das Göttlich im Menschen sich offenbart. Keinem andern Wesen auf Erden als dem Menschen ist dieses "Ich" gegeben. Im "Ich-bin" überhaupt liegt die Kommunion des Göttlichen mit dem Menschen, die nur in Christus wiederum offenbar wurde. Wir lassen darum die Ich-Bin-Worte des Christus im Johannes-Evangelium:  

"Ich bin das Brot des Lebens" (6,35)

"Ich bin das Licht der Welt" (8,12)

"Ich bin die Tür" (10,7 + 9)

"Ich bin der gute Hirte!" (10,12+14)

"Ich bin die Auferstehung und das Leben" (11,25)

"Ich bin der Weg und die Wahrheit" (14,6)

"Ich bin der Weinstock" (15,1)

in ihrer schlichten Konkretheit, ohne sie durch eine künstliche Übersetzung abstrakt zu machen.


(Hier liegt die hauptsächliche Schwierigkeit für alle "Übersetzungen" des Johannes-Evangeliums. Man fühlt die tiefen, kosmischen Hintergründe dieses "Ich-bin" und möchte das in der Übersetzung zum Ausdruck bringen. Da kommt man vom einfachen "Ich bin..." zum höher tönenden "Das Ich ist..." oder "Das Ich-Bin ist..." oder gar: "Der Ich-bin-der-Ich-bin-ist...". Das findet man dann selber geschraubt und sucht es wieder zu vereinfachen, bis man auf Umwegen wieder beim einfachen "Ich bin", d.h. beim Luther-Text angelangt ist. Eine ähnliche Schwierigkeit liegt vor bei den Stellen "Ich bin's der mit dir redet" (4,26)  und  "Ich bin's,  fürchtet euch nicht"  beim

Seesturm (6,20). Luthers Übersetzung gibt hier richtig den äußeren Sinn; aber das im Griechischen stehende einfache "Ich bin" läßt die kosmischen Hintergründe bestehen, die das deutsche Wörtchen "es" in diesem Fall sofort zerstört. Ist das Problem dieser Übersetzungsschwierigkeit überhaupt lösbar? Es wird ja zum Versuche einer neuen und zeitgemäßen Übersetzung des Johannes-Evangeliums einmal schon kommen müssen - Rudolf Steiner hat manche Wege dahin gewiesen und Anfänge gezeigt -, aber hier die volle Wahrhaftigkeit und Treue zu erreichen, erscheint wie eine "Quadratur des Kreises" auf geistigem Gebiet).


   Das letzte der angeführten Ich-Bin-Worte des Christus im Johannes-Evangelium, S106 Luther: "Ich bin der rechte Weinstock" zeigt am deutlichsten den innersten Kern des Ich-Geheimnisses in allen diesen Worten, das Wesen des hier immer gemeinten "Ich": es ist die Realität des in sich selbst gegründeten, im Ewigen verankerten, unverlöschlichen Bewußtseins. Luthers Übersetzung "Ich bin der rechte Weinstock" sagt gar nichts. Dem Wörterbuch entspräche: "Ich bin der wahrhaftige Weinstock" (oder: "der Weinstock des Wahrhaftigen"). Aber die Worte a-létheia von lethe "Vergessen", "Verlöschen des Bewußtseins" und a-lethinós bedeuten "Wahrheit" und "wahrhaftig" nicht einfach so, wie wir heute diese Worte leicht und oberflächlich gebrauchen, sondern "Wahrheit" im johanneischen Sinn (siehe vor allem das dritte Johannes-Kapitel) bedeutet dasjenige, was der Ursinn, die Urbedeutung des griechischen Wortes ist, wenn wir dieses Wort wieder ganz wörtlich nehmen: dasjenige, was fern vom Vergessen ist, was man nicht auslöschen kann, was unverlöschliches Bewußtsein ist, was vor dem Lichte der göttlichen Welten und dem Bewußtsein des Göttlichen bestehen bleiben, sich halten und rechtfertigen kann, weil es selber im göttlichen Bewußtsein verankert ist. So wie wir heute die Worte leicht und abstrakt nehmen, kann man Wahrheit und Unwahrheit nur sprechen, bei Christus gibt es auch ein "die Wahrheit tun", da wird auch beim Tun des Menschen gefragt, ob Weltenwahrheit oder Weltentrug durch dieses Tun spricht und sich offenbart, da kann auch das Handeln des Menschen, die ganze Art, wie der Mensch im Leben drinnen steht, etwas in sich Verlogenes sein, Joh. 3,20f: "Wer Arges tut, der hasset das Licht und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke ihm nicht zu Bewußtsein kommen (Luther übersetzt "daß seine Werke nicht gestrafet würden". Der Sinn des hier im griechischen Urtext stehenden Wortes ist "überführen, zum Bewußtsein bringen". Die Luther'sche Übersetzung ist heute nicht mehr verständlich, meint aber denselben Sinn). Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan." S107

   Von diesem den Kern des Ich-Geheimnisses und Ich-Wesens selbst offenbarenden Christus-Wort "Ich-bin (Das Ich ist) der Weinstock des nie verlöschenden Bewußtseins", dem letzten Ich-Bin-Wort des Johannes-Evangeliums, zieht sich eine geistige Verbindungslinie nach dem Ich-Bin-Wort zu Anfang der Apokalypse: "Ich bin das A und O, der da ist, und der da war, und der da kommt". Das in sich ruhende Bewußtsein ist die eigentliche Realität der Welt, ist Anfang und Ende aller Dinge, und alles Wirkliche ist letzten Endes Bewußtsein. Das ist auch ein Schlüssel zu aller hier schon gegebenen Betrachtung der Sternenwelten. Erst wo die Spiegelung dieser Bewußtseinswirklichkeit für die Wirklichkeit selbst, der Schatten für das Licht, das Negativ der Welt für das Positiv gehalten wird (Man denke an das bei einem Ammonshorn oder einer sonstigen Versteinerung anschauliche Verhältnis des Versteinerungsabdrucks zur positiven Versteinerung. Ebenso hält das gewöhnliche Bewußtsein die Abdrücke der Geisteswirklichkeit in der Sinnessphäre für die Wirklichkeit selbst), entsteht die Illusion der Materie (als der vermeintlichen Realität), jene Illusion, die der Inder die Maya nennt. Das der hierin wirkenden Bewußtseinsverdunkelung zugrundeliegende Wesenhafte hat Zarathustra die Macht der Finsternis (Ahriman) genannt. Es ist dieselbe Macht (Satan-Ahriman), die im Markus-Evangelium (8,33) da, wo sie dem Jünger das Bewußtsein auslöschen will, von Christus zur Rede gestellt wird (ME187). Ahriman, einst im Schöpfungsplan der fortschrittlichen Mächte wirkend, ist jetzt der Ungeist, der Widersacher des Ich. Die ganze Initiationsgeschichte im Markus-Evangelium ist ein Kampf zwischen Licht und Finsternis, ein Kampf um das Ich. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß das Ich, das in Christus sich offenbarte, und als dessen Verkünder Johannes vor uns steht, nicht kampflos errungen ist.

   Dieser Kampf um das Ich ist der Inhalt der Geschichte der Menschheit, ihr wesentliches und entscheidendes Motiv. Die Erscheinung Christi auf Erden, in dem sich das verlorene und vergessene Ich wieder unter die Menschheit gestellt hat, ist der entscheidende Wendepunkt in diesem Ich-Drama der Weltgeschichte. Der Schlüssel zum Verständnis dieses S108 Menschheits-Dramas ist das Johannes-Evangelium in Verbindung mit der Johannes-Apokalypse. Stellt das Johannes-Evangelium das Geheimnis und Wesen des Ich als die eine Seite der Ich-Offenbarung vor uns hin, so hatte die Apokalypse zu zeigen, wie, durch welche Geburtswehen der Erde und Krisen der Menschheit hindurch das Ich, dieses neue, werdende Wesensglied des Menschen, allmählich im Laufe des geschichtlichen Werdens zur Entfaltung und Entwicklung kommt. Der größte Teil dieser Entwicklung liegt für uns heute noch in der Zukunft. Das Johannes-Evangelium enthält gleichsam die Naturgeschichte (richtiger: die höhere Geist-Dynamik) des Ich, die Johannes-Apokalypse seine Geschichte (die hier im wesentlichen eine Zukunfts-Geschichte, nicht eine Vergangenheits-Geschichte ist).

***

   Von Kapitel zu Kapitel führt uns das Johannes-Evangelium durch diese Christusoffenbarung des Ich, beleuchtet von immer wieder neuen Seiten die Wesenseigenart dieses neuen, werdenden Wesengliedes der Menschheit und das Geheimnis seiner Kräftewirkung. So zeigt das erste Kapitel, wie in den Jordanereignissen der Herniederstieg des Ich aus höheren Welten sich vollzieht, und wie in diesem Herniederstieg des Ich, in der "Geburt des Sohnes" die Himmel sich wieder öffnen, wie im Ich der Anschluß an die Sternensphären der himmlischen Hierarchien (die in der Zeit des Menschheits-Abstiegs Jakob noch als das Traumerlebnis der "Himmelsleiter" erschaute) erreicht wird: "Amen, Amen, ich sage euch (das Ich sagt euch): von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen, und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn" (Joh.1,51). Aus Christus spricht das Ich, in dem das Innerste des Innern sich wiederum mit dem Sternen-Umkreis aller Welten in Liebe zusammenschließt. Erst in dem Maße, als dieses Bewußtsein auch in der Menschheit erwacht, schreitet das Ich seiner Vollendung näher, erst dann ist das "Sternenkleid der Liebe" gewoben. (Über das Ich als dieses Sternenkleid der Liebe im Sinne des Märchens siehe das vorige Kapitel.) Wir S109 werden noch weiterhin im Auge behalten, wie Christus gerade da, wo er aus dem Bewußtsein dieser Einheit des Ich-Mittelpunktes mit dem Sternen-Umkreis der Welten ("Ich und der Vater sind Eins") spricht, seine Worte durch "Amen, Amen" (Luther: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch") einleitet.


   Im zweiten Kapitel, beim Hochzeitswunder von Kana in Galiläa, zeigt Christus, wie das wieder mit der Vaterkraft sich berührende wahre Ich, das Sternen-Ich der Menschheit, die Wasser des Ätherisch-Astralischen in den wahren höheren Lebenswein verwandelt: "Die Sternwelt wird zerfließen zu gold'nem Lebenswein..." (Novalis).  

"Aus dem Ich der neue Lebenswein, der neue Dionysos"

können wir als das Motiv dieses Kapitels hinstellen.

   Im dritten, in dem in der "Geburts-Konstellation" (Steinbock-Krebs) liegenden Nikodemus-Kapitel erleben wir das Motiv "Im Ich die neue Geburt, die Geburt von oben, aus den oberen Sternenwelten, aus den Reichen der Freiheit und des lebenschaffenden Odems".


   Im vierten Kapitel, im Gespräch des Christus mit der Samariterin, mit seinen bedeutsamen Mysterien-Hintergründen, handelt es sich um den Gegensatz der alten und der neuen Lebensquelle: die eine, die aus der Urzeit strömende, ist jetzt dem Versiegen nahe, die andere, in der Zeitenwende, in der Geburtsstunde des Ich entspringende fließt in immer breiterem Strome in das "Leben der künftigen Zeitenkreise".  

"Aus dem Ich die neue Lebensquelle"

können wir das Motiv dieses Kapitels in Kürze fassen.

In der Heilung des Hauptmannssohnes im Schlusse des Kapitels erfolgt durch Christus "aus dem Ich der Ausgleich der Weltengegensätze", die hier die Ursache der jugendlichen Entwicklungs-Krisis sind.

   Im fünften Kapitel, in der Heilung des Kranken von Bethesda, weckt das Ich des Christus im Kranken den "Willen im Ich", der dann die eigentliche Ursache der Heilung wird.

"Aus dem Ich die Überwindung der Krankheit, die neue Gesundheit" 

ist das Motiv dieses so deutlich in die Achse Skorpion-Stier

(Todesmacht und Lebensmacht) sich hineinstellenden Kapitels.

   Im zweiten Abschnitt des Johannes-Evangeliums (6-10) S110 wird das in Christus sich offenbarende Ich dann der Erwecker der Menschheits-Krisis, der großen Ich-Krisis der Menschheit ("Gericht" übersetzt Luther). 

"Aus dem Ich das Gericht, die Krisis, die Scheidung der Geister"

können wir das mehr negative, in die Menschheits-Tragik und den Menschheits-Konflikt hineinführende Ich-Motiv dieses Abschnitts nennen.

   Daneben stehen in jedem einzelnen dieser Kapitel bestimmte positive Ich-Offenbarungen. Im sechsten Kapitel lautet das aus dem Speisungswunder erfließende Ich-Motiv: "Ich bin das Brot des Lebens" d.h.  

"Aus dem Ich das neue Lebensbrot, die Wiederbelebung des Lebensäthers".

Die einst aus dem Welten-Sternen-Kreis sich offenbarende und schenkende Lebensspeisung, deren letzter dekadenter Überrest in der Zeit des Menschheits-Abstiegs das "Manna in der Wüste" war (Joh6,31), wird jetzt in Christus aus der Quelle des Ich neu empfangen.

   Im siebenten, im ersten großen "Konflikts-Kapitel" spricht Christus das Wort: "Wer an mich glaubt (wer seines Herzens Sicherheit in das Ich versenkt), von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen". Nicht nur vom Empfangen, sondern vom Weitergeben des segenspendenden Lebensstromes ist da die Rede:  

"Aus dem Ich der allsegnende Lebensstrom"

lautet hier das Motiv.

   Das mit dem Motiv des Steinwurfs beginnende und endende achte Kapitel ist von allen "Kapiteln der Krisis" vor allem das "Gerichts-Kapitel" (in dem es sich auch rein äußerlich genommen um gerichtliche Dinge handelt). Den lieblosen Richtern, die nur nach dem starren, toten Gesetzesbuchstaben richten, zeigt der Christus, wie er richtet, wie das - in der Weltenliebe verankerte, vom Welten-Ich durchsonnte - Ich "richtet", aufrichtet, zurechtbringt. Christus hebt die von den Menschen verdammte Gefallene wieder zu seinen Welten-Lichtes-Höhen empor. So offenbart er "aus dem Ich das göttliche Richten". Bedeutsam steht über diesem Kapitel die Wage als das Zeichen der irdischen Gerichtsbarkeit, wie als das Himmelszeichen der Venus Urania, der Christus-Liebe im Ich. Darin klingt an zugleich das Motiv "Aus dem Ich die neue, die höhere Jungfräulichkeit", und in der weiteren Auseinandersetzung des S111 Christus mit den Pharisäern das Motiv:  

"Aus dem Worte des Ich die Wahrheit (d.h. das im Weltenlicht lebende, sich halten könnende Bewußtsein), aus der Erkenntnis der Wahrheit die Freiheit", also in Kürze: "Im Ich die innere Freiheit".

   Daran schließt sich im neunten, im Kapitel der Blindenheilung das Motiv: "Aus dem (mit den Erdenkräften sich berührenden) Ich das neue Schauen, die Überwindung der angeborenen geistigen Blindheit". Das aus dem achten Kapitel herüberwirkende und herüberklingende Motiv

"Ich bin (das Ich ist) das Licht der Welt"

kommt hier zu seiner höchsten Auswirkung im Irdischen.

   Mit den vorangegangenen Ich-Motiven ist auf alle Kräfte hingewiesen, die den vom Impuls der Ich-Entwickelung Getragenen an die "Pforte der Einweihung" hingeleiten. Der Weg dieser neuen, dieser christlich-johanneischen Einweihung ist ein aus den Kräften des lichten wachen Bewußtseins im Ich zu beschreitender, zur Vollendung des Ich in Christus hinführender Weg. Davon spricht Christus im zehnten Kapitel. Nicht durch die "verborgene Tür" der unterbewußten Lebenskräfte, wie gewisse vorchristliche "Wege", sondern durch die "offene Tür" des Vollbewußten im Ich führt der Einweihungs-Weg des Christus.  

"Ich bin die Tür"

(Das Ich ist die Tür) lautet hier das Christus-Wort.

"Durch das Ich der Eingang zum Leben, der wahre Zugang zum Pfad" können wir hier das Ich-Motiv des Kapitels fassen. Die ganze Einweihungs-Geschichte des Markus-Evangeliums zeigt, wie dieser von den Jüngern gesuchte, von Johannes allein gefundene Weg den Kampf um das Ich, das Ringen mit den bewußtseinsverdunkelnden, das Ich auslöschen-wollenden Mächten entscheidend in sich schließt.

   War also in den ersten Kapiteln des Johannes-Evangeliums von den Kräften des Ich als eines in Christus geoffenbarten, für die Menschheit selbst aber noch fernen und zukünftigen "Wesensgliedes" die Rede, so wird nun im zehnten Kapitel der Weg zum Finden dieses Ich von Christus gezeigt und in aller Offenheit vor die Menschen, in erster Linie vor die Jünger hingestellt.

   Auch dieses "Zeigen des Weges" bleibt zunächst noch Lehre, bleibt Verkündigung. Der weitere Schritt, der nun noch zu tun S112 übrig bleibt, ist der, daß die im zehnten Kapitel angedeutete Einweihung nun auch wirklich vollzogen, daß das dort Verkündete zur Tat, zum Ereignis ("Erreichnis") wird, daß das bis dahin nur in Christus selbst sich offenbarende Ich nun auch in einem Andern da sein kann, daß der Funke des Ich gleichsam überspringt. Das bildet den Inhalt des elften Kapitels. Gerade in diesem Überspringen des göttlichen Funkens offenbart Christus der Initiator die höchste Vollmacht und Magie des Ich. Das geschieht in der Erweckung des Lazarus. In dem dazu Berufenen, von Christus selbst mit unendlicher Sorgfalt Vorbereiteten, durch unsägliche Prüfungen, Anfechtungen und Krisen Hindurchgeführten, zuletzt durch die engste aller Pforten, durch die Grabespforte selbst Hindurchgegangenen kommt jetzt das Christus-Ich zum Erwachen. Damit ist die größte allber bis dahin gewesenen Ich-Offenbarungen durch Christus gewirkt, in Johannes ist die Stelle gefunden, wo der göttliche Christus-Ich-Funke in der Menschheit zu zünden beginnt. Die Todesmacht, die die Menschheit in Banden hält, der auch die andern Jünger zunächst noch erliegen, ist durch den überwunden, der im Sterben des Lazarus die Auferstehung in Christus gefunden hat und Johannes geworden ist, der lebend aus dem Grabe von Bethanien sich erhebt.

"Ich bin die Auferstehung, das neue Leben"

ist das große Ich-Motiv dieses Kapitels

   Damit sind wir aus dem Gebiete des lehrenden Offenbarens in dasjenige der Tat, der praktischen Verwirklichung hinübergetreten. Darum antwortet der Christus im zwölften Kapitel denen, die noch immer weitere Offenbarungen erwarten, daß die Zeit dafür jetzt vorüber sei. Aus dem Christus-Ich reift jetzt immer mehr der große, allen Jüngern außer Johannes unfaßbare Todesentschluß. Und in der im zwölften Kapitel erzählten Salbung des Christus Jesus durch Maria Magdalena, wie in der Fußwaschung, die im dreizehnten Kapitel der Christus an den Jüngern vollzieht, bereitet sich schon der große Todesgang des Christus vor. Aus dem großen Menschheits-Konflikt, S113 aus der im zweiten Abschnitt (Joh6-10) geschilderten Ich-Krisis der Menschheit ist jetzt, im Geschehen von Golgatha, die große Menschheits-Tragödie, die Tragödie des Ich geworden. Wir erleben dieses Tragische vor allem da, wo wir bei jenem Geschehen von Golgatha auf die sündige Menschheit hinschauen, das Geschehen als Menschheitsschuld und Menschheitsleiden betrachten.


   Der Tragödie des Ich im Mysterium von Golgatha folgt dann in der Auferstehung der Triumph des Ich. Wie die zwei Lazarus-Kapitel (11+12) - so sahen wir früher - mit den fünf ersten "Mysterien-Kapiteln" des Johannes-Evangeliums, die zwei Passions-Kapitel der "Ich-Tragödie" (6-10), so schließen sich diese zwei Auferstehungs-Kapitel - oder Kapitel des großen Wiedersehens (20+21) - mit den Abschieds- und Jünger-Kapiteln (13-17) zu einer Siebenheit innerlich zusammen. Wie eine Zusammenfassung des früher über das Ich Geoffenbarten und zugleich wie eine Offenbarung der Auferstehungs-Zukunft erscheinen da noch in den "Abschiedsreden" die zwei Christusworte: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (14,6) und "Ich bin (das Ich ist) der Weinstock des nie verlöschenden Bewußtseins" (15,1). Durch diese in ihm selbst vorhandene Ich-Kraft des nie verlöschenden Bewußtseins führt die tragende und bewahrende Liebe des Christus die Jünger, deren Bewußtsein noch der Verdunkelung erlag, deren Ich sich noch nicht als tragfähig erwies, durch ihre Krisis hindurch und erhält sie für die spätere Erfüllung ihrer großen Menschheitsaufgabe. Durch die "Liebe bis ans Ende" (Joh.13,1), bis zur Weihe-Vollendung geleitet er die im Bewußtsein Versagenden, denen die große Trennung, das große Scheiden fast das Herz brechen will (Joh.16,22), zum großen Wiedersehen in der Auferstehung nach siegreich überstandener Todesnacht. Die schon in der Lazarus-Erweckung geoffenbarte Wahrheit "Ich bin die Auferstehung" wird da durch die Auferstehung des Christus zum Ausgangspunkt der Erneuerung von Erde und Menschheit.

"Aus dem Ich das große Wiedersehen, das Wiedersehen in Ewigkeit"

S114 können wir das Ich-Motiv dieser beiden letzten, zukunfttragenden Kapitel des Johannes-Evangeliums benennen.

Auch die "Erscheinungen des Auferstandenen" sind den Jüngern zunächst noch wie ein Bild und Gleichnis. Wie eine Fata Morgana am Zukunftshimmel erscheint zuletzt der Ausblick auf ein noch größeres und ernsteres Wiedersehen des Christus mit den Seinigen in der Zukunft der Zeiten...


   So ist die Liebe im Ich, die die Gewähr des ewigen Wiedersehens in sich trägt, die letzte, leuchtendste aller Christus-Ich-Offenbarungen des Johannes-Evangeliums. Wie ein strahlender Stern überleuchtet sie das Ganze dieses Evangeliums, wie der Stern der Liebe (Venus Urania) selbst, der im Zeichen des Christus-Ich-Bin, in der Wage herrscht. Von der schöpferischen Offenbarung dieses Sternes im Erdenurbeginn (Venus im Stier) bis zu seiner himmlischen Offenbarung im Christus-Ich (Venus in Wage) hat uns der Rhythmus des Johannes-Evangeliums geführt, um dann zu seinem Ausgangspunkte zurückzukehren. Die Liebe im Ich, Venus Urania (Venus in Wage) hält, das Ganze beherrschend, die Mitte, leuchtet über dem Ganzen des Johannes-Evangeliums. Und wir können es von da aus ganz tief erfassen, wenn die johanneischen Ich-Bin-Worte des Christus ihren Abschluß finden in dem Christus-Worte der Apokalypse, dem Schlußstein des ganzen Neuen Testaments: "Ich bin (das Ich ist) die Wurzel Davids, der helle Morgenstern" ("Ich bin" = Wage, Morgenstern = Venus). Der dem Luzifer in seinem Sturze entrissene Stern der Liebe (Venus) ist in Christus wieder heilig geworden.

   Damit stehen wir vor den eigentlichen Sternengeheimnissen des Ich, denen das letzte, abschließende Kapitel dieses I.Teiles gewidmet ist.

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